Der Theologe Herbert Vorgrimler im domradio-Interview

"Zur Verfügung, solange Gott mich braucht"

"Eigentlich wollte ich immer im priesterlichen Dienst bei den Menschen Seelsorger sei", sagt Herbert Vorgrimler an seinem 80. Geburtstag. Warum er dennoch als Theologe weltweite Bekanntheit erlangte, welche Rolle Papst Benedikt XVI. dabei spielte und weshalb er heute am Ziel angelangt ist, erklärt er im domradio-Interview.

 (DR)

domradio: Sie werden heute 80 Jahre alt - mit welchem Gefühl blicken Sie zurück?
Vorgrimler: Im Großen und Ganzen blicke ich mit einem Gefühl der Dankbarkeit zurück, weil ich so viele gute Begegnungen hatte. Es gab viele Menschen, die mich gefördert und getragen haben. Und natürlich mit  Dankbarkeit gegenüber Gott, weil ich das alles als ein Gefüge von Fügungen betrachten kann.

domradio: Besonders prägend für Sie war das Zweite Vatikanische Konzil. Sie waren damals enger Mitarbeiter Karl Rahners, der sehr wichtig für das Konzil und den Aufbruch der Kirchen in den 60er Jahren war. Wie haben Sie die Jahre der Zusammenarbeit mit ihm erlebt?
Vorgrimler: Ich darf vorher vielleicht noch einen Dritten erwähnen: Das ist der Wiener Kardinal König. Rahner war zunächst von der Römischen Kurie vom Konzil ausgeschlossen, die Gedankenwelt Rahners war vielleicht zu fremd für Leute, die in Rom gelebt und gearbeitet hatten. Und daraufhin hat Kardinal König Rahner zu seinem persönlichen Konzilstheologen ernannt. Und Rahner hat mich immer herbeigezogen, weil er damals schon immer ziemlich überlastet war mit Arbeit. So bekam ich dann den Kontakt mit Kardinal König, mit dem ich auch in 30-jähriger Freundschaft verbunden war. Wir bekamen da die ganzen vorbereiteten Gutachten, die von der Römischen Kurie verfasst waren; es waren 70 an der Zahl, die dann in den ersten Wochen des Konzils sanft und schmerzlos beerdigt wurden.

domradio: Bis heute gibt es Kritiker, die meinen, das Konzil habe die Kirche zu sehr geöffnet. Wie beurteilen Sie den die Entwicklung der Kirche seit damals?
Vorgrimler: Papst Johannes XXIII. hatte eine wegweisende Konzilsrede gehalten im Oktober 1962. Und das, was er da gewünscht hatte von der Kirche, ist bis heute nicht völlig eingelöst. Da gibt es noch viel zu tun. Es ist auch sicherlich manches übertrieben gesagt worden damals an Reformwünschen. Aber wir waren uns damals alle einig darin, dass die Erneuerung von Innen her - von einer erneuerten Spiritualität her - kommen muss. Und da sind doch Defizite zu konstatieren. Vor lauter Räten und Sitzungen ist die Innerlichkeit - die Gotteserfahrung - zu kurz gekommen.

domradio: Sie waren nach dem Konzil viele Jahre Professor für Dogmatik in Münster. Heute arbeiten Sie als Krankenhaus-Seelsorger - wie erleben Sie diese Arbeit im Vergleich zu Ihrer vorherigen Tätigkeit?
Vorgrimler: Ich war vor einigen Wochen zu Gastvorlesungen in Salzburg. Und da sagte jemand spöttisch zu mir: "Also in der Klink sind Sie jetzt. Da haben Sie jetzt auch den Karriere-Knick hinter sich." Und genau so habe ich das nicht erlebt. Ich empfinde das Krankenhaus nicht als Karriere-Knick und als Abstieg. So kann nur jemand reden, der denkt, die Aufgaben eines Klinkseelsorgers ist ein sanftes Ruhekissen , wo man behaglich nichts tun kann. Eigentlich wollte ich immer im priesterlichen Dienst bei den Menschen Seelsorger sein. Eigentlich habe ich mich etwas widerwillig auf den Lehrstuhl in der Universität schieben lassen von bedeutenden Freunden, die ich damals hatte: Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner und von einem jungen Theologen, der mich sehr gefördert hat - Josef Ratzinger. Das hat bei mir die Wirkung gehabt, dass ich mehr recht als schlecht als Professor wirken wollten und den Studentinnen und Studenten immer Gespräche angeboten habe, aber dabei wenig zum Ziel gekommen bin. Die seelsorglichen Gespräche, die ganz in die Tiefe gehen, habe ich jetzt im Krankenhaus. Das ist das, was ich eigentlich immer gewollt habe.

domradio: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Vorgrimler: Ich hoffe, dass ich "so lange es Tag ist, wirken kann" - das ist ein Bibelwort. "Es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken kann." Diese Nacht wird kommen, das weiß ich. Da macht man sich mit 80 keine Illusionen. Aber noch kann ich wirken und arbeiten und bleibe zur Verfügung, solange Gott mich braucht.