Der Leiter des Katholischen Büros in Berlin zu den Herausforderungen an Kirche und Gesellschaft im kommenden Jahr

Die Systeme in Frage stellen

Das Schielen nach dem großen Gewinn und die Jagd nach Renditen sorgten für die Wirtschaftskrise in diesem Jahr - nur ein Thema, bei dem die Meinung der Kirche als moralische Instanz gefragt war. Auch 2009 werden Krise und Rezession die Agenda bestimmen. Und die Katholische Kirche wird sich weiterhin einmischen, kündigt Prälat Karl Jüsten, Leiter des katholischen Büros in Berlin, im domradio-Interview an.

 (DR)

dormadio: Jetzt hat SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier den Vorschlag unterbreitet, Manager und Bischöfe an einen Tisch zu bringen. Die Themen und Gerechtigkeit und Ethik spielen plötzlich eine Rolle und da ist Kirche gefragt?
Jüsten: Es ist schön, wenn sich der Bundesaußenminister der Sache annimmt. Aber die Kirche ist mit der Wirtschaft schon seit Langem im Gespräch. Da gibt es verschiedene Gesprächsformen. Es gibt sogar verschiedene Verbände, die sich dem Thema widmen. Wie etwa der Verband Katholischer Unternehmer.
Es ist sicher gut, wenn sich Wirtschaftsbosse und Kirchenethiker zusammenkommen und über anstehende Fragen sprechen. Es ist ja ein tiefer sitzendes Problem, als nur das moralische Verhalten, das die Finanzkrise ausgelöst hat. Das Fehlverhalten, das jetzt offenbar wird, ist die eine Seite. Und die muss gebrandmarkt werden. Aber es geht ja vor allen Dingen darum, die Finanzmärkte insgesamt neu zu ordnen. Und da kommt es noch mehr darauf an, nur moralische Appelle an die Wirtschaft zu richten. Da müssen die Systeme in Frage gestellt werden. Und da sind aus dem Bereich der Kirchen in den vergangenen Jahren gute Vorschläge gemacht worden. Und die sollte man jetzt diskutieren.

dormadio: Die Deutschen Bischöfe, wie Erzbischof Robert Zollitsch haben vor allem kritisiert, dass für die bedrohten Unternehmen sofort Milliardenbeträge bereit stehen, aber das zum Beispiel das Familiengeld lediglich um durchschnittlich zehn Euro erhöht wird. Der Schutz der Familie - ein wichtiges Thema auch 2009?
Jüsten: Nach dieser großen Hilfsaktion der Bundesregierung schienen etwas die Relationen durcheinander geraten zu sein. Die Summe, von der die Rede war, würde ausreichen, das Gesundheitswesen wieder aufzurichten und ihm dauerhafte Substanz zu geben. Das Geld würde Rentenreform und Pflegeversicherung vernünftig auf den Weg zu bringen. Das Geld würde ausreichen, Familien zu helfen - wie Erzbischof Zollitsch zurecht kritisiert hat, ist in die Summe hier - vergleichsweise - klein gegenüber der, die da jetzt aufgebracht wurde. Und eine Investition in die Familie ist immer einer Investition in die Zukunft.

dormadio: Nehmen wir zunächst das Stichwort "Schutz des Lebens" hinzu: Beschäftigen wird die Bundespolitik auch ein CDU-geführter Gruppenantrag, der Spätabtreibungen vermeiden will. Auch hier hat die Kirche klare Positionen und wird Sie 2009 einbringen?
Jüsten: Gott sei Dank ist das Thema wieder in Schwung geraten - leider erst am Ende der Legislaturperiode. Aber immerhin. Inzwischen liegen sogar fünf verschiedene Anträge vor, die jeweils etwas anderes wollen. Und ein Antrag, der den bestehen Skandal in Deutschland minimieren kann, ist möglich. Wir als Kirche haben bei der geltenden Schwangerschaftsregelung überhaupt Probleme. Die Spätabtreibung ist ja ein ganz besonders makaberer Fall der Abtreibung. Wir wollen ja eigentlich, dass eine gesetzliche Regelung unternommen wird, die überhaupt dazu führt, dass möglichst wenige Abtreibungen da sind. Und die Spätabtreibung darf nicht, wie es jetzt der Fall ist, unter die medizinische Indikation fallen.


Karl Jüsten, Priester aus der Erzdiözese Köln, ist Leiter des Katholischen Büros in Berlin. Der gebürtige Bad Honnefer wurde nach dem Theologie-Studium in Freiburg, Innsbruck und Bonn 1987 zum Priester geweiht. Dann war er drei Jahre als Kaplan in Köln und vier Jahre als Präfekt am Erzbischöflichen Priesterseminar tätig. Nach zweijähriger Freistellung zum Studium wurde er 1996 Leiter der Abteilung Personaleinsatz Pastorale Dienste und stellvertretender Hauptabteilungsleiter für Seelsorge-Personal im Erzbistum Köln. Seine Doktorarbeit schrieb er 1999 über "Ethik und Ethos in der Demokratie". Das Katholische Büro ist die Verbindungsstelle der Kirche zu Politik, Parteien und Institutionen am Regierungssitz.