24-jähriger Deutsch-Afghane wegen Mordes an seiner Schwester vor Gericht

Gestorben für eine Nichtigkeit

Gut sieben Monate nach der Tötung der Deutsch-Afghanin Morsal O. aus Hamburg muss sich der 24 Jahre alte Bruder des Opfers seit Dienstag wegen Mordes vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Für den Prozess sind bis Anfang Februar zehn Verhandlungstage angesetzt. Die Anklage führt 33 Zeugen und drei Sachverständige auf. Ahmad-Sobair O. soll seine Schwester heimtückisch und aus niederen Beweggründen getötet haben.

 (DR)

Morsal O. hatte kaum eine Chance, als sich ihr Bruder am 15. Mai auf einem Parkplatz im Hamburger Stadtteil St. Georg ihr näherte und 23 Mal auf sie einstach. Mit einer mit zehn Zentimeter langen Klinge verletzte er die 16-Jährige an Oberkörper, Gesäß, Armen und Beinen. Die Deutsch-Afghanin starb noch am Tatort an zwei Herz- und zwei Lungenstichen. Gut sieben Monate nach der Tat sitzt Ahmad-Sobair O. am Dienstag regungslos vor dem hanseatischen Landgericht, als Staatsanwalt Boris Bochnick die Anklage verliest. Der 24-Jährige soll seine Schwester heimtückisch und aus niederen Beweggründen getötet haben.

Der sogenannte Ehrenmord hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Morsal O. war offenbar von ihrem Bruder erstochen worden, weil sie sich von der Familie abgewandt hatte. Laut Staatsanwaltschaft hatte sie sich aus Sicht des Angeklagten unangemessen bekleidet in der Öffentlichkeit bewegt. Der junge Mann nahm an, sie arbeite als Prostituierte. Ahmad-Sobair O. stellte sich später der Polizei und sitzt seither in Untersuchungshaft.

Das Mädchen war zuvor mehrfach in Einrichtungen des Jugendnotdienstes untergebracht. Sie soll bereits seit mehreren Jahren unter dem Druck ihrer Familie gelitten haben, da diese ihren westlichen Lebensstil nicht billigte. Zudem hatte die 16-Jährige ihren Bruder mehrfach angezeigt, die Anzeigen später aber zurückgezogen.

Der 24-Jährige macht am ersten Verhandlungstag lediglich Angaben zur Person: 1984 im afghanischen Kabul geboren, sei er zuletzt im Import- und Exporthandel tätig gewesen. Aus früheren Urteilen gegen Ahmad-Sobair O. wegen Körperverletzung und Trunkenheit am Steuer, die der Vorsitzende Richter Wolfgang Backen zu Beginn verliest, geht weiter hervor, dass die Familie O. nach einem Aufenthalt in der Ukraine 1992/93 nach Deutschland kam. Hier erwarb der Angeklagte den Realschulabschluss und absolvierte eine Ausbildung.

Zu dem Verbrechen an Morsal O. wolle er sich nicht äußern, ergreift sein Anwalt Thomas Bliwier das Wort für Ahmad-Sobair O. Wichtiger scheint der Verteidigung ein Befangenheitsantrag gegen einen der Sachverständigen. Dessen Gutachten über den 24-Jährigen sei unprofessionell und voreingenommen. Der Sachverständige habe einseitig Partei für die Geschädigte ergriffen, ohne die soziokulturellen Hintergründe zu berücksichtigen. Er habe eine «offensichtlich aggressive und feindselige Grundhaltung gegenüber dem Angeklagten», sagt Bliwier.

Proteste für Frauenrechte
Vor dem Landgericht demonstrieren indes mehr als 50 Vertreterinnen der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Sie fordern mehr Schutz für Betroffene vor Zwangsheirat, «Ehrenmord» und Gewalt. So seien in den vergangenen drei Jahren über 500 Hilferufe von Mädchen und Frauen bei der Organisation eingegangen - Tendenz steigend. Mehr als einem Viertel von ihnen wurde die Ermordung von Familienmitgliedern angedroht. Laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen gibt es jährlich weltweit etwa 5000 «Ehrenmorde» in mindestens 14 Ländern. Die Dunkelziffer liegt wohl deutlich höher.

Einige Freunde des Angeklagten, die im Zuschauerraum Platz genommen haben, verurteilen das Verbrechen hingegen nicht: Zwar hätte Ahmad-Sobair O. seine Schwester nicht töten dürfen. Doch wie eine gute Afghanin habe sich Morsal O. nicht verhalten.

Bliwier zufolge wird der Prozess ergeben, dass es sich um eine «impulshafte, affektive» Familientragödie handelt und nicht um einen «Ehrenmord». Der geständige Ahmad-Sobair O. bereue die Tat, betont der Anwalt auf ddp-Anfrage. Für den Prozess sind insgesamt bis Anfang Februar zehn Verhandlungstage angesetzt. Die Anklage führt 33 Zeugen und drei Sachverständige auf. Der Cousin des Beschuldigten, der die Tat miterlebte, soll am Freitag (19. Dezember) gehört werden. Die Aussagen der Eltern von Ahmad-Sobair O. sind für Januar vorgesehen.

In dem Prozess werden ferner zwei beim Amtsgericht Hamburg-Harburg anhängige Verfahren gegen den 24-Jährigen verhandelt. Dabei geht es um Bedrohung und gefährliche Körperverletzung gegen seine Schwester, die er Ende 2006 und Anfang 2007 begangen haben soll.