Der Sekretär des Papstes zum Fest der Menschwerdung Gottes

Wellenkreise der Weihnacht

Prälat Georg Gänswein ist Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. Wenige Tage vor Weihnachten beschreibt er in seinem Text für die Katholische Nachrichtenagentur (KNA) eindrücklich, wie weit es in unseren säkularisierten, lauten und sensationsgeprägten Gesellschaften schon gekommen ist mit der Einstellung zum Fest der Geburt Jesu Christi und damit der Menschwerdung Gottes.

Der Heilige Vater und sein Privatsekretär: Papst Benedikt XVI. mit Prälat Georg Gänswein 2008 (KNA)
Der Heilige Vater und sein Privatsekretär: Papst Benedikt XVI. mit Prälat Georg Gänswein 2008 / ( KNA )


Oxford, das akademische Flaggschiff Englands, sorgte Anfang November für eine saftige Überraschung. Der Stadtrat beschloss, künftig "Weihnachten" (Christmas) zu streichen und durch ein "Fest des Winterlichts" (Winter Light Festival) zu ersetzen. Damit sei das gemeinte "Ereignis" inklusiver und offener für alle Seiten. Der Weisheit letzter Schluss in der berühmten Stadt der Weisheit? Oder bloß eine blamable Konzession an eine missratene political correctness? Ist uns Weihnachten abhandengekommen?

Mag es einem gefallen oder nicht: Der christliche Glaube schlägt in unserer lauten, sensationsgeprägten Gesellschaft keine großen Wellen mehr. Bedeutsameren Botschaften ergeht es wie Kirchenglocken neben der Autobahn: Im ununterbrochenen Lärm der schweren Laster, in den ständig an- und abschwellenden Geräuschen, die sich überschlagen und dem Ohr keine Pause gönnen, geht jedes Geläut mit seiner Harmonie unter. Glocken bräuchten ein menschliches Umfeld, mit Fluren und Wäldern hinter den Dächern. In den Straßenschluchten unserer Städte regiert hauptsächlich Reifenquietschen, Bremsen, Starten aus dem Stau - da hat der Glockenklang keine Chance. Religiöse Feste und ihre tiefen, tragenden Wahrheiten dringen nur schwer durch den lärmenden Jahrmarkt der Welt.

Mit Weihnachten scheint es aber - gegen Oxford - eine Ausnahme zu geben. Weihnachten zieht noch immer Wellenkreise durch die Gesellschaft. Mögen auch manche Wellen von ihrem Ursprung, von dem Stein, der vor 2.000 Jahren ins Meer der Weltgeschichte gefallen ist, nicht mehr allzu viel wissen - es bleibt dabei: Weihnachten bewegt unser Lebensgefühl, wenngleich nicht zu bestreiten ist, dass die Wellenkreise des Weihnachtsfestes sehr oft verflachen und verplätschern. Es gilt aber auch, das Positive an diesen Wellen zu sehen, die, allmählich schwächer werdend, über den See unserer Gesellschaft wandern. Denn diese Bewegungen bieten Chancen hin zu mehr Menschlichkeit, mehr Zuwendung, mehr Hilfsbereitschaft und Friedensliebe - und schließlich zu einer Neuentdeckung des Geheimnisses von Bethlehem. Weihnachten ist trotz aller Verluste in der Tiefendimension immer noch ein menschliches Fest. Das sollten wir nicht vergessen in einer Zeit, in der Loveparades über die Straßen grölen und Feste erfunden werden, bei denen Massenhysterie und Rauschgift den mangelnden Sinn ersetzen.

Wenn man den Gründen nachgeht, warum Weihnachten sich als Fest in einer so säkularen Epoche gehalten hat, dann spielt eine Tatsache eine ganz wichtige Rolle: Weihnachten ist ein Fest des Gemüts und der Kinder. Wenn Kinder angesprochen sind, mobilisiert das auch Eltern, Großeltern, Patinnen und Paten, Onkel und Tanten. Ohne Gemüt gibt es keine Werte, ohne Werte keinen Glauben. Darum ist Weihnachten eine Zeit, in der - trotz aller Ausuferung in oberflächliche Gefühlsduselei - für eine Neubesinnung ein günstiges Klima herrscht.

Eine weitere weihnachtliche Welle, in der manchmal ein Stück Himmel aufblitzt, sehe ich darin, dass Weihnachten ein Fest des Schenkens ist. Auch das sollten wir positiv vermerken, weil wir schließlich genug Feste erfunden haben, die sich in Pfropfenknall und überladenen Konsum-Raffinements erschöpfen. Freilich ist auch der schöne Brauch des Schenkens nicht gegen Entartungen gefeit, die in die Richtung der Entpersönlichung und der lästigen Verpflichtung gehen. In gewisser Hinsicht ist die große Welle des Schenkens auch mit der Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes verbunden. Denn irgendwo muss man ja auch Geschenke kaufen. Aber man sollte nicht nur gewisse Exzesse des Geschäftsinteresses im Auge haben, man müsste auch daran denken, dass diese Woge des Schenkens motivationsmäßig hinter der bemerkenswerten Grundwelle der Hilfsbereitschaft steht. Helfen und Schenken, das Erlebnis der Hilfe und des Beschenktseins rücken uns dem Mysterium der Weihnacht schon sehr nahe. Das Kind von Bethlehem ist schließlich Gottes großes Geschenk an die Menschheit.

Ein weiterer Wellenkreis der Weihnacht ist die Kultur dieses Festes.
Sie spannt sich vom volkstümlichen Hirtenlied bis zu den Werken der größten Meister der Musikgeschichte, von der selbst gebauten Krippe bis zum barocken Wunderwerk, von den Turmbläsern bis zum Stern der Könige. Unsere weihnachtliche Kultur ist zutiefst christlich und allein vom christlichen Glauben her zu verstehen. Sie lebt aus dem Mysterium und wurde aus der Ergriffenheit vom Geheimnis über die Geburt des Heilands heraus geschaffen. Es gibt eine unübersehbare Verbundenheit dieser Kultur zur Menschwerdung bis hinein in die Konzertsäle der Weltstädte und die Weihnachtsprogramme sonst wenig frommer Sender.

Müsste man nicht auch noch die Welle des Grüßens erwähnen? Gewiss ist die Weihnachtspost eine Last, wenn sie viele Stunden am Schreibtisch verlangt. Aber an sich ist das Grüßen und Wieder-Aufnehmen von Beziehungen ein zutiefst christlicher Akt - und dies vor allem in einer Zeit, die von Isolation und Vereinsamung so stark heimgesucht ist, obgleich ganze Sturzwellen von Kommunikationstechniken über die Menschheit hinweggehen. Ist der persönliche Gruß nicht ein wunderbares Echo des Gloria-Grußes, der in der Heiligen Nacht vom Himmel über die Erde ging?

Gewiss, alle diese Wellenkreise der Weihnacht können an den Ufersteinen der Gleichgültigkeit und am Sandstrand der Plattheit auch verplätschern. Aber in diesen Wogen zeigt sich eine Aufforderung an das Herz, dorthin zu wandern, wo einst der gewaltige Meteor ins Meer der Weltgeschichte eingetaucht ist, der nicht verzischt, sondern unser ganzes Dasein verändert hat. Stimmung und Gemüt, Schenken und Helfen, Grüßen und Kultur, das alles sind christliche Phänomene der Weihnacht. Und in jedem dieser Wellenkreise steckt eine Einladung hin zum Tiefensinn des Festes - zum Glauben an die Menschwerdung Gottes im Kind im Stall zu Bethlehem. Weihnachten ist durch nichts zu ersetzen.