Streit um Haltung der katholischen Kirche gegenüber Mussolinis Rassengesetzen

Alte Rechnungen offen

Der nationalistische italienische Parlamentspräsident Gianfranco Fini hat mit dem Vorwurf, die Kirche habe sich nicht gegen die Rassengesetze von 1938 gewehrt, heftige Kritik geerntet. Katholische Politiker aus Regierung und Opposition wiesen Finis Äußerungen als unwahr zurück. "Es stimmt nicht, dass die italienische Kirche keinen Widerstand leistete", erklärte auch Andrea Riccardi, Historiker und Gründer der katholischen Basisgemeinde Sant´Egidio.

 (DR)

Verschiedene Parlamentarier erinnerten an die Verurteilung des Antisemitismus durch Papst Pius XI. im Jahr 1938. Seinem Nachfolger Pius XII. werfen Kritiker dagegen vor, die Judenverfolgung durch das Hitler-Regime nicht offen verurteilt zu haben. Während der deutschen Besetzung Roms ordnete das Kirchenoberhaupt gegen Kriegsende an, verfolgte Juden in Klöstern zu verstecken.

Der italienische Historiker und Gründer der katholischen Basisgemeinde Sant´Egidio, Andrea Riccardi, räumt gegenüber Radio Vatikan ein, dass Fini zwar ein wichtiges Thema angesprochen habe. Doch dessen Kritik sei historisch unzutreffend. „Die katholische Kirche von 1938 und 1943 ist nicht die heutige Kirche. Die Menschen ändern sich. Mir scheint, dass die Kirche als Sündenbock für alle Fehler der Menschheitsgeschichte herhalten soll. Die katholische Kirche ist heute und war auch in den dreißiger Jahren gegen den Faschismus. Pius XII. hat sich ganz klar gegen den Antisemitismus gewandt und dazu eine Schrift herausgegeben. Wenn jemand geschwiegen hat, dann waren es die Einwohner Italiens."
  
Der damalige Papst Pius XI. hatte sich immer wieder mit dem italienischen Faschismus und seiner Ideologie auseinandergesetzt. Pius XI. nannte den Faschismus „eine heidnische Kultur". Als Reaktion auf die Rassengesetze von 1938 wies er über seinen Kardinalstaatsekretär Eugenio Pacelli - den späteren Pius XII. - Klöster und Pfarreien an, verfolgte Juden zu verstecken.

Historische Wahrheit?
Italiens Kulturminister Sandro Bondi von der Regierungspartei «Forza Italia» verteidigte Fini gegen die lagerübergreifende Kritik. Ein Großteil der Italiener habe sich «aus Abstumpfung und um des lieben Friedens willen» nicht gegen die von Ex-Diktator Benito Mussolini eingeführten Rassengesetze gewehrt. Zuspruch erhielt Fini auch von Oppositionschef Walter Veltroni. Dem Parteichef der Demokraten zufolge hat der Parlamentspräsident mit seiner Kritik an der Kirche eine «historischen Wahrheit» ausgesprochen.

Bei einer Konferenz anlässlich des 70. Jahrestags der Einführung der Rassentrennung hatte Fini die Diskriminierung von Juden in Italien erneut verurteilt. Bis auf wenige Ausnahmen hätten weder die Mehrheit der Bevölkerung noch die Kirche gegen die Rassengesetze Widerstand geleistet, die Juden aus der Schule und den meisten Berufen verbannten.

Plötzlicher Gesinnungswandel
Der Parteichef der «Nationalen Allianz» hatte dazu aufgerufen, die Gründe zu untersuchen, die diese «historische Schande» in einem «zutiefst katholischen Land» möglich gemacht hätten. Eine Verurteilung der politischen Verantwortung des Faschismus für die Rassengesetze dürfe nicht zu «selbstgerechten Stereotypen» führen, die die Gesamtheit der Italiener als «gute Menschen» bezeichnen.

Unter der Leitung von Fini hatte die postfaschistische Partei sich in den 90er Jahren von dem Erbe der Mussolini-Zeit losgesagt. Der Parteivorsitzende hatte den 1945 von Partisanen hingerichteten Ex-Diktator zuvor als größten Staatsmann des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Seit der Parteiwende von 1994 nennt Fini den Faschismus das «absolute Böse». Teile der Partei spalteten sich nach der Wende ab, darunter die Enkelin des Diktators, Alessandra Mussolini.