Jesuit Samir über die Situation der Minderheit im Nahen Osten

"Christen sind die besten Mittler"

Der Jesuitenpater Samir Khalil Samir gehört zu den besten Kennern der christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten. Der 70-jährige Gründer und Leiter des arabisch-christlichen Dokumentations- und Forschungszentrums CEDRAC in der libanesischen Hauptstadt Beirut nahm vor wenigen Wochen am Treffen hochrangiger muslimischer Repräsentanten mit dem Papst teil. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur spricht Samir über die Situation der Christen im Irak und die Zukunft des Dialogs zwischen Christen und Muslimen.

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

KNA: Pater Samir, in Deutschland und Europa wird derzeit heftig über die Aufnahme von irakischen Flüchtlingen, insbesondere von Christen, gestritten. Was bedeutet das für die verbliebenen Gemeinschaften vor Ort?
Samir: Natürlich sollte man Menschen in Not helfen. Aber ich sehe momentan noch echte Chancen, dass viele Betroffene in ihrer Heimat bleiben können. Nehmen Sie zum Beispiel die Situation in der Autonomen Provinz Kurdistan, einem der alten Siedlungsgebiete der Christen. Dort entsteht gerade eine Universität mit theologischer Fakultät, gefördert durch öffentliche Mitteln der Provinz. Solche Initiativen müssten auch von Europa aus unterstützt werden. Sonst laufen wir Gefahr, dass es in einem Jahrhundert keine Christen mehr im Irak gibt. So wie jetzt praktische keine Christen mehr in der Türkei leben.

KNA: Welche Folgen hätte denn ein Exodus der Christen?
Samir: Es wäre eine echte Katastrophe für die Kultur und die Geschichte der betroffenen Staaten. Schon allein die Anwesenheit von Christen hat dort immer wieder für Erneuerungen gesorgt und die geistige Auseinandersetzung mit dem Anderen gefördert. Christen sind die besten Mittler im Nahen Osten, vielleicht, weil sie niemals politische Macht besessen haben.

KNA: Können Sie für diese Mittlerfunktion ein Beispiel nennen?
Samir: In Ägypten haben die Christen eine sehr wichtige Rolle gespielt etwa vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20.
Jahrhunderts. Mit Billigung der damals vergleichsweise liberalen Machthaber haben sie die sogenannte arabische Renaissance, die Nahda, stark geprägt.

KNA: Heutzutage scheint sich der Dialog zwischen Christen und Muslimen schwieriger zu gestalten.
Samir: Dafür sind vor allem drei Faktoren verantwortlich. Der erste ist die Säkularisierung der Türkei und die Abschaffung des Osmanischen Reichs und des Kalifats in den 1920er Jahren. Das war der erste große Schock für die Muslime. Der zweite kam 1948 mit der die Schaffung des Staates Israel sozusagen aus dem Nichts. Der dritte Grund ist wirtschaftlicher Natur. Nachdem das Öl immer teurer wurde und die Golfstaaten, besonders Saudi-Arabien, vor lauter Petrodollars nicht mehr wussten wohin mit ihrem Geld, haben sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit islamistische Tendenzen unterstützt. Saudi-Arabien baute dabei auf einer besonders strengen Version auf, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts besteht: dem Wahhabismus. Mit ihrem Geld haben sie die muslimische Welt nicht nur islamisiert, sondern auch fanatisiert.

KNA: Kann denn angesichts dieser Tendenzen das Treffen des Papstes mit hohen muslimischen Würdenträgern oder der Besuch des saudischen Königs im Vatikan überhaupt etwas bewirken?
Samir: Wenn die Menschen sehen, dass der König und der Papst sich grüßen und sich umarmen, zeigt dies, dass wir keine Feinde sind.
Diese Symbole sind sehr wichtig. Aber für einen echten Fortschritt müssten gerade die Saudis verstehen, dass sie nicht einerseits den Wahhabismus predigen und andererseits gegen fanatische Terroristen vorgehen können. Beides ist miteinander verbunden. Dass sie das noch nicht erkannt haben - darin liegt die eigentliche Tragödie. Sie sind guten Willens, aber sie müssen sich vom Wahhabismus befreien und einen offenen Islam fordern.

KNA: Fehlt es an kritischen Tönen auf Seiten der Muslime?
Samir: Ich merke, dass Viele den Dialog wollen. Aber offiziell können sie nicht sagen: Wir sind in einer schwierigen Phase. Ein paar tun es trotzdem - und stoßen nur auf geringes Echo. Dabei muss man erkennen, dass wir durch eine große Krise gehen, wahrscheinlich die größte seit Jahrhunderten. Und ich fürchte, dass diese Krise noch eine ganze Weile andauern wird. Es geht um nichts weniger, als den Islam mit der Moderne zu versöhnen.