Piraten könnten den Seeweg zwischen Europa und Asien kappen

Hilflos vor der somalischen Küste

Die Kaperung des riesigen saudischen Öltankers "Sirius Star" hat das Thema Piraterie öffentlich bekannt gemacht. Ein Thema, vor dem Experten schon länger warnen. Der ehemalige Konteradmiral Sigurd Hess beschrieb bereits vor einem Monat im domradio-Interview die Lage als ernst. Nach den Beobachtungen westlicher Geheimdienste sind die Piraten inzwischen sogar in der Lage, im Golf von Aden und in somalischen Gewässern den wichtigen Seeweg zwischen Europa und Asien zu kappen.

Autor/in:
Friedrich Kuhn
 (DR)

Die Seeräuber haben mittlerweile ein derartig gut funktionierendes Netz für ihre Überfälle aufgebaut, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen", war von Geheimdienstlern am Mittwoch in Dschibuti zu erfahren. Einer indischen Fregatte gelang es am späten Dienstagabend im Golf von Aden ein Piratenschiff, von dem sie angegriffen wurde, zu versenken. "Wir bewegen uns auf kriegerische Auseinandersetzungen mit den Seeräubern zu", hieß es in den Geheimdienstkreisen. Die Angriffe und Kaperungen der Piraten nähmen "rasant zu".

Die Kaperung des riesigen saudischen Öltankers "Sirius Star" habe den letzten Beweis für die Gefährlichkeit der Räuber geliefert, sagte ein amerikanischer Geheimdienstvertreter der Nachrichtenagentur ddp. Die westlichen Kriegsschiffe operierten vor Somalia "mehr oder weniger hilflos gegen die Piraten". Der Schutz der Besatzungen auf den gekaperten Schiffen habe "absoluten Vorrang", wurde in Marinekreisen unterstrichen. Es könne deswegen nicht so schnell militärische Gewalt gegen die Seeräuber angewandt werden. Sie würden mittlerweile ungeniert und bestens ausgerüstet in den Seegebieten "auf Fang ihrer lukrativen Beute gehen."

Lösegeld von 250 Millionen Dollar
Die Saudis sind empört. Die Piraten sollen von ihnen für die Freigabe des Tankers ein Lösegeld von 250 Millionen Dollar gefordert haben. Mit seiner Ladung Rohöl könnte nach Angaben von Fachleuten Frankreich für einen ganzen Tag versorgt werden. Ein amerikanisches Kriegsschiff liegt in der Nähe des Saudi-Tankers, greift aber nicht ein.

"Stellen Sie sich vor, die Amerikaner würden das Feuer auf das gekaperte Schiff eröffnen, um die Räuber zu vertreiben", erläuterte ein deutscher Marineoffizier. Ein Loch in der Schiffswand und das ganze Öl läuft in die See aus. Die Umweltkatastrophe wäre verheerend. Bei allen Überfällen seien die Freibeuter immer im Vorteil, weil die Handelsschiffe über keine Abwehrwaffen verfügen. Es bleibe eigentlich fast immer nur der Weg der Lösegeldzahlung, meinte der Offizier.

In den letzten zwölf Tagen haben die Piraten sieben Schiffe in ihre Gewalt gebracht. Nach neuesten Angaben gab es in diesem Jahr 95 Übergriffe auf Handelsfrachter, Tanker, Jachten und Segelboote. In 36 Fällen konnten die Piraten die Schiffe in ihren widerrechtlichen Besitz nehmen. 15 Frachter sollen zur Zeit noch in der Hand der Räuber sein. Geheimdienstler berichteten, dass alle Kreuzfahrtschiffe eindringlich gewarnt worden sind, den Golf von Aden und das Horn von Afrika zu meiden. Sollte ein solches Schiff mit vielen hundert Zivilisten gekapert werden, wäre das ein "GAU".

Reiche Piraten
Die Piratengruppen sollen sich aus verschiedenen Bevölkerungsschichten des völlig zerrütteten Somalia zusammensetzen. Darunter seien auch Männer, die mit Clanchefs und Vertretern der noch wenigen existierenden Behörden "beste Beziehungen haben", erklärte ein Geheimdienstler in Dschibuti. Die Millioneneinnahmen durch das Lösegeld hätten die Piraten in der letzten Zeit "richtig reich gemacht".

Im nordsomalischen Puntland, einer Hochburg der Räuber, sei ein "wahrer Bauboom ausgebrochen". So mancher der Seeräuber würde durch die Straßen mit protzigen amerikanischen Autos fahren. Es würden "üppige Partys" gefeiert. Die Piraten hätten "die schönsten Frauen, die schnellsten Autos und die besten Waffen", schilderte ein US-Geheimdienstler seine Erkenntnisse. In Somalia, in dem auch die Terrororganisation Al-Qaida seit langem Fuß gefasst hat, gilt die "moderne Seeräuberei" als "gesellschaftsfähig", berichtete der Geheimdienstmann.

Die Reeder, die durch die Piraten wegen der Zwangspausen für ihre Schiffe und der hohen Lösegeldzahlungen schon schwere Verluste erlitten haben, schlagen Alarm und fordern einen "intensiven Schutz" durch Kriegsschiffe. Wenn das nicht gelinge, müssten sie die Passage durch den Suezkanal aufgeben und mit ihren Schiffen den langen Weg um das Kap der Guten Hoffnung im Süden Afrikas wählen. Das dauere 20 Tage länger als auf dem bisherigen Seeweg und verursache erhebliche Mehrkosten. So hat eine norwegische Reederei gerade ihre 90 Tanker angewiesen, nicht mehr den Weg durch den Golf von Aden zu nehmen, sondern ab sofort den Umweg um das Kap.