Das Urteil im Fall Eluana bewegt in Italien Politik und Kirche

Tauziehen um einen menschlichen Tod

Das Tauziehen ist beendet, Italien ist geteilt. Das Urteil im Fall Eluana Englaro bewegt Politik und Kirche im Land. Die 37-jährige Norditalienierin, seit einem Autounfall im Januar 1992 ohne Bewusstsein, muss nach Billigung durch das oberste Berufungsgericht nicht weiter künstlich ernährt werden. Ihr Vater Beppino Englaro hat das Ziel erreicht, für das er fast zehn Jahre juristisch gekämpft hat. "Wir haben es geschafft, Elu", zitieren italienische Medien den Mann. "Das Urteil bestätigt, dass wir in einem Rechtsstaat leben."

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Beppino Englaro schlägt in der italienischen Öffentlichkeit und Politik viel Sympathie entgegen. Die Abgeordnete Rita Bernardini (Radikale) rühmt ihn als einen Helden, der eine siegreiche Schlacht für seine Tochter geschlagen habe. Die evangelische Kirche lobt das Urteil als Akt des Rechts und des Respekts vor dem Patientenwillen.  Andere sehen es kritisch: Laut Rocco Buttiglione, Parteichef der Christdemokraten (UDC), sind so künftig Morde auf Einwilligung möglich. Und Eugenia Roccella, Untersekretärin im Sozialministerium, sagte, erstmals werde per Gerichtsbeschluss eine Bürgerin des Landes in den Tod geschickt.

Umstritten ist der Entscheid auch, weil er sich auf den "angenommenen Willen" der Patientin stützt: eine Montage aus Äußerungen der damals jugendlichen Eluana; 20 Jahre alten Erinnerungen ihrer Freunde und Mutmaßungen. Die Argumente sind längst ausgetauscht; der letzte Akt drehte sich nur noch um juristische Zuständigkeiten. Bereits im Juli hatte ein Mailänder Berufungsgericht auf Anordnung des Kassationsgerichtshofs den Fall der Wachkoma-Patientin erneut geprüft und den Abbruch der Ernährung für rechtens erklärt. Abgeordnete brachten die Sache vor das Verfassungsgericht, das die früheren Urteile bestätigte. Die Region Lombardei weigerte sich aber, Eluana in einer staatlichen Einrichtung sterben zu lassen. Zuletzt versuchte die Mailänder Staatsanwaltschaft, den Entscheid des Berufungsgerichts auszuhebeln; vergeblich.

Der deutlichste Widerstand kam über Jahre von der katholischen Kirche. Auch jetzt war es der vatikanische Chef-Ethiker Rino Fisichella, der den Medien nach dem Urteil Auskunft gab: Er sprach von "Euthanasie" und einem "Anschlag auf das Leben". Mit dem Ernährungsabbruch werde ein Mensch "unter großem Leiden in den Tod geschickt". Zugleich mahnte er eine rechtliche Regelung zu Fragen rund um Sterbehilfe und Patientenverfügungen - eine Forderung, die in Italien seit langem auch Politiker erheben.

Der Vatikan verlangt von Kranken kein Weiterleben um jeden Preis.
Als Eluana Englaro im Oktober schwere innere Blutungen erlitt, war es Fisichella, der das "Recht auf ein Leben und Sterben in Würde" bekräftigte; eine indirekter Appell an die Ärzte, von sinnlosen lebensverlängernden Maßnahmen abzusehen. Beim Wachkoma liegt das aus Sicht der Kirche jedoch anders.

Seit in Kinofilmen und in Nachrichtenmedien die Schicksale mutmaßlich sterbewilliger Wachkoma-Patienten als öffentliche Dramen vermarktet werden, kommt diese kirchliche Position verstärkt unter Druck. Das Festhalten an dem Grundsatz, dass niemand das Leben eines Menschen aktiv beenden dürfe, wird in immer neuen Anläufen als "unmenschliches" Festhalten an veralteten Dogmen karikiert. Ähnlich wie einst in der Abtreibungsdebatte wird die Kirche, die sich selbst als Anwältin des Lebensschutzes sieht, plötzlich als inhumane Institution gebrandmarkt, von deren Zwängen sich mündige Menschen befreien müssten.

Im September 2007 antwortete die römische Glaubenskongregation mit einer Art Grundsatzentscheidung auf den weltweit debattierten Fall Terri Schiavo, einer US-Amerikanerin, die nach 15 Jahren im Wachkoma 2005 in Florida starb. Patienten wie Schiavo müssten dauerhaft Nahrung und Pflege erhalten, erklärte der Vatikan. Es gehe lediglich darum, einen Menschen durch ein "verhältnismäßiges Mittel der Lebenserhaltung" vor Leiden und Tod durch Verhungern und Verdursten zu bewahren.

Genau das sagen die Kritiker des höchstrichterlichen Urteils jetzt Englaro voraus - und rechnen mit einem langsamen Sterben von rund zwei Wochen. Vor ihrer letzten Reise müsste Eluana eine vorletzte antreten: Derzeit liegt sie in einer katholischen Klinik, die sich gegen den Wunsch des Vaters sperrt. Die Ordensfrauen, die Eluana pflegen, baten unterdessen, sie dort behalten zu dürfen: "Wenn jemand Eluana für tot hält, soll er sie bei uns lassen; wir glauben, dass sie lebt.