Experten sehen das militärische Engagement im Kongo skeptisch

"Der Konflikt war absehbar"

Politikwissenschaftler und Afrika-Experten sehen das militärische Engagement der UN und der Europäer im Kongo während der vergangenen Jahre skeptisch. In einem Buch "Intervention im Kongo - Eine kritische Analyse der Befriedungspolitik von UN und EU", das in der zweiten Novemberhälfte erscheint, ziehen elf Autoren eine ernüchternde Bilanz des Einsatzes von UN- und EU-Truppen im Umfeld der Wahlen im Kongo 2006; es waren die ersten freien Wahlen im der Demokratischen Republik nach über 40 Jahren. Das Buch, so Herausgeber Heinz-Gerhard Justenhoven, arbeite die Defizite der UN-Interventionspolitik heraus.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

Angesichts der schlimmen Lage von vielen tausend Zivilisten in der Region um das ostkongolesische Goma werden seit Ende Oktober Rufe nach einem militärischen Eingreifen lauter. Am Donnerstag appellierten Menschenrechtsorganisationen in Brüssel an die EU-Außenminister, EU-Soldaten in den Kongo zu entsenden. Die bislang dort stationierten UN-Truppen erfüllten ihren Auftrag, die Zivilbevölkerung zu schützen, nur unzureichend und bräuchten Verstärkung. Die Lage für Zivilisten sei katastrophal.

Die Analyse der Fachleute fällt kritisch aus. Zwei Monate nach dem Ende des militärischen EU-Engagements veranstalteten das Institut für Theologie und Frieden (ithf) und das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) eine internationale Tagung. Deren Beiträge liegen nun überarbeitet als Buch mit 216 Seiten vor. "Das Leiden der Menschen war vermeidbar, der Konflikt in Kivu absehbar", meint etwa der kongolesische Politikwissenschaftler David Fuamba und mahnt einen grenzüberschreitenden Blick an. Nur wenn die über Staatsgrenzen hinausreichenden Spannungen in den Blick genommen würden, könne eine Befriedung des Kongo gelingen.

"Fehlerhaftes Herangehen an den Wiederaufbau"
Dennis Tull von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin spricht von einem fehlerhaften Herangehen an den Wiederaufbau des Kongo. Die UN sei von der falschen Prämisse ausgegangen, dass Demokratieaufbau nach westlichem Muster in kürzester Zeit möglich sei. Er warnt vor nicht zu stemmenden Aufgaben und spricht von einem "normativen Größenwahn, der moralisch gerechtfertigt sein mag, praktisch aber wenig hilfreich ist". Wenn es denn Interventionen geben solle, müssten sie Fragen lokaler politischer Legitimität und politischer Ordnung ernster nehmen, statt auf externe Rezepte zu setzen.

Ludwig Jacob, Oberst a.D. und Lehrbeauftragter an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg, sieht die Einsatzplanung der deutschen Soldaten von 2006 eher an europa- und sogar innenpolitischen Erwägungen und nicht primär am deklarierten Auftrag - der Absicherung des Wahlprozesses - ausgerichtet. Es sei schließlich "um einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einem globalen Akteur der internationalen Ordnungspolitik" gegangen. Von einer Nachhaltigkeit des Einsatzes könne man nicht sprechen.

Dabei vergleicht Jacob - bereits im September - die Lage im Ostkongo mit der Situation in der sudanesischen Darfur-Region. Und zitiert die Europäische Sicherheitsstrategie aus dem Jahr 2003: "Bei nahezu allen größeren Einsätzen ist auf militärische Effizienz ziviles Chaos gefolgt." Ganz passend mahnt Hans-Georg Ehrhart, stellvertretender Leiter des ISFH, für Interventionen der internationalen Staatengemeinschaft einen "verantwortungsethischen Zugang" an.

Ernüchternde Analysen
Auch der evangelische Berner Ethiker Wolfgang Lienemann warnt vor zu hohen Erwartungen an militärisches Engagement. Eine Intervention wie von EUFOR 2006 könne bestenfalls äußere Rahmenbedingungen für friedensfördernde Veränderungen schaffen. Es brauche darüber hinaus systematische Anstrengungen zum Aufbau einer Bürgergesellschaft.
Damit karikiert Lienemann auch die wachsenden finanziellen Anstrengungen für militärisches Engagement an verschiedenen Brennpunkten, mit denen die Entwicklung der Aufwendungen für Entwicklungszusammenarbeit nicht mithalten kann.

Ernüchternd klingt letztlich die detaillierte Analyse der EU-Militäraktionen im Kongo, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik, die Stefan Brüne, Fachmann für internationales Recht, formuliert. Die großen europäischen Geber - vor allem Frankreich - richteten ihre Afrika-Politiken nach wie vor "überwiegend an national grundierten Eigeninteressen" aus. Das Buch, schreiben Justenhoven und Ehrhart als Herausgeber im Vorwort, solle "hoffentlich auch zu einer Überprüfung der Interventionskonzepte" beitragen.