Der Klimawandel lässt die Flüchtlingsströme anschwellen

Die Bombe tickt

Wie bereitet man sich auf den Tag vor, an dem das eigene Land verschwindet? Dem pazifischen Inselstaat Kiribati steht dieses Katastrophenszenario möglicherweise bald schon bevor. In 50 bis 60 Jahren drohen die 32 Atolle zwischen Hawaii und Australien im Meer zu versinken. Schuld daran sind der Klimawandel und der dadurch steigende Meeresspiegel. Präsident Anote Tong, so meldeten es Medien in diesem Sommer, sucht deswegen vorsorglich schon nach einer neuen Bleibe für die 100.000 Einwohner.

Autor/in:
Julia Grimminger
 (DR)

Dass es sich dabei nicht nur um einen Einzelfall am anderen Ende der Welt handelt, darin sind sich die meisten Forscher inzwischen einig.  Aber welche konkreten Konsequenzen der Klimawandel auf die weltweiten Flüchtlingsströme haben wird, daran scheiden sich die Geister: Prognosen sprechen von bis zu 200 Millionen Menschen, die bis 2050 auf der Flucht vor Umwelteinflüssen sein werden. Licht ins Dunkel bringen soll eine Konferenz des Instituts für Umwelt und menschliche Sicherheit an der Universität der Vereinten Nationen. Noch bis diesen Samstag diskutieren Experten aus 80 Ländern in Bonn über Fakten und Folgen von Erderwärmung und Migration.

Die Zeit drängt. Laut UN-Angaben gab es allein 2007 weltweit fast 400 große Überschwemmungen, Wirbelstürme, Erdbeben und Hitzewellen.
Betroffen waren davon rund 200 Millionen Menschen. 25 Millionen verließen aus diesem Grund ihre Heimat. Und meistens trifft es die Ärmsten der Armen: So kamen in Bangladesch zwischen 1950 und 2000 insgesamt eine Million Einwohner durch Naturkatastrophen zu Tode. "Oft verlieren die Menschen mehrmals in ihrem Leben alles", so der Berliner Politikwissenschaftler Hans Günter Brauch. Da die Naturkatastrophen an Intensität zunähmen, rechnet der Fachmann mit steigender Landflucht. Aber es fehlten genaue Zahlen, die etwa völkerrechtliche Vereinbarungen möglich machten.

Auch der österreichische Umweltexperte Johannes Frühmann würde gerne konkretere Aussagen machen. Doch es bleibt bei "Karikaturen der Zukunft", wie er seine Szenarien nennt. Er geht davon aus, dass mehr als 50 Millionen Menschen in den nächsten Jahrzehnten ihre Heimat verlassen. Dabei sei umweltbedingte Migration außer sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Faktoren nur ein Aspekt. Allerdings sei jetzt schon absehbar, dass etwa der Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer in die EU weiter zunehmen wird, weil die Betroffenen in ihrer Heimat aufgrund fortschreitender Wüstenbildung keine Perspektiven mehr haben.

"Jeder Griff ins Kühlregal ist eine globale Handlung"
Hilfsorganisationen versuchen, so früh wie möglich einzugreifen.
Prävention statt Krisenstab vor Ort lautet die Devise. Für den Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) stehen dabei die Kinder im Mittelpunkt. So werden in Nicaragua aktuell 22.000 Schüler in 99 Gesamtschulen mit dem Thema Katastrophenvorsorge vertraut gemacht.

Sie lernen, wie man einen Notvorrat aus Nahrungsmitteln, Getränken, einem batteriebetriebenen Radio und Medikamenten anlegt. In Indonesien zeigt der ASB Kindern anhand von Bildern, wie man sich bei einem Erdbeben am besten verhält. "Erfahrungsgemäß wird dieses Wissen in die Familien hineingetragen", erzählt ASB-Projektleiterin Edith Wallmeier. Kinder seien damit die zuverlässigsten Multiplikatoren.

Doch reichen solche und andere Maßnahmen in den betroffenen Ländern aus, um die "Zeitbombe Klima-Migration" zu entschärfen? Ohne einen Bewusstseinswandel in den westlichen Industriestaaten sei der Wettlauf gegen die Erderwärmung nicht zu gewinnen, betont Umwelt-Experte Frühmann. "Jeder Griff ins Kühlregal ist eine globale Handlung." Ein Joghurt-Becher, der einen 2.500 Kilometer langen Transportweg hinter sich habe, belaste Klima und Ressourcen in unverantwortlicher Weise. Und damit auch die Bewohner jener Regionen, denen das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht.