Dass sich die Fernsehinstitution Tatort seit über 700 Folgen gesellschaftlicher Themen bedient, hat fast Methode. So geht es im aktuellen Fall der dienstältesten weiblichen Ermittlerin um Sterbehilfe - ein Thema, das in den letzten Monaten ungeahnte Aktualität erlangt hat.
Die Telefonnummer in der Hand der ermordeten Sabine Brodag führt Lena zu Familie Frege, die aufgrund der Krankheit von Tochter Julia (Stella Kunkat) vor einer unmenschlichen Zerreißprobe steht. Das Mädchen wird langsam, aber sicher ersticken. Ihre Mutter, verstörend realistisch dargestellt von Susanne Lothar, will nur eines: Ihrem Kind helfen. Der Satz "Ich kann nicht mehr" aus dem Mund der Neunjährigen umreißt die ganze Gewissensnot ihrer Mutter. Auf der Suche nach einem Mittel, mit dem sie ihre Tochter von ihrem Leiden erlösen kann, stößt sie auf die Sterbehilfeorganisation "Charontas", deren Namen von einer Art Todesengel aus der griechischen Mythologie entlehnt ist.
Brodag, die für "Charontas" arbeitete, hatte der Mutter das tödliche Medikament indes verweigert. Hat Katja Frege sie aus Wut umgebracht?
Oder Brodags Liebhaber, "Charontas"-Anwalt Michael Heymann, der die Beziehung mit Rücksicht auf seine hochschwangere Frau beenden wollte? Oder der verbitterte Lehrke, dessen 17-jährige Tochter sich aus Liebeskummer mit Hilfe der Organisation vor Jahren das Leben nahm?
Ein verwirrendes Knäuel an Verdächtigen, die alle eines verbindet:
Die Verstrickung in die Frage, ob ein Mensch auf eigenen Wunsch getötet werden darf. Koppers Urteil in dieser Frage und gleichzeitig über "Charontas" steht - zunächst - fest: Kein Mensch kann sich zum Richter über Leben und Tod aufschwingen. Lena dagegen ist unentschieden, und zusammen mit ihr gerät auch der Zuschauer in Zweifel über vermeintlich klare Positionen. Sie freundet sich mit der todgeweihten Julia an, die frei und offen mit ihrem absehbaren Sterben umgeht. In der vielleicht anrührendsten Szene des Films gibt die Kommissarin der Kleinen weiter, was sie selbst als Kind von ihrem Vater gehört hatte: Dass man sich nach dem Tod im Himmel wiedersehen wird.
Der Fall sticht sicherlich aus den anderen in den 19 Jahren der Lena Odenthal hervor. Die Kommissarin - statt forscher Kurzhaarfrisur trägt sie das Haar lang gelockt - darf sich weiblicher geben, Emotionen zeigen und sogar weinen. Auch für Ulrike Folkerts selbst fiel die Folge aus dem Rahmen. Mit dem Thema Sterbehilfe hat sich die 47-Jährige persönlich befasst, als ein Freund von ihr letztes Jahr an Krebs starb. "Alles darf ich entscheiden in meinem Leben, nur nicht, wann es zu Ende ist", so die Schauspielerin und fordert eine gesetzliche Neuregelung.
Ihr Plädoyer zugunsten einer legalisierten Sterbehilfe hatte der frühere Hamburger Justizsenator Roger Kusch, inzwischen selbst Vorsitzender eines Sterbehilfevereins, unerlaubt auf seine Internetseite gesetzt. Das hatte ihm Folkerts umgehend juristisch verbieten lassen. Das Vorgehen des früheren Politikers in Sachen Sterbehilfe hält die engagierte Schauspielerin für skrupellos, seine medial breit inszenierte assistierte Sterbehilfe an einer alten, einsamen Frau verurteilt sie. "Solche Fälle zeigen, dass die Gefahr von Missbrauch groß ist", sagt Folkerts. "So sollte es natürlich nicht sein." Ob der Zuschauer ihre Haltung teilt oder nicht: "Der glückliche Tod" ist ein lohnender "Tatort", der durch differenzierte menschliche und argumentative Darstellung überzeugt.
Im Tatort mit Lena Odenthal geht es um das Thema Sterbehilfe
Zerreißprobe um ein todkrankes Mädchen
Eine Tote am Ufer, ein Anwalt mit Geldsorgen, ein Mädchen mit der unheilbaren Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose, eine Sterbehilfeorganisation - und zwischen all dem ein ungewohnt schweigsames Ermittlerpaar Lena Odenthal und Mario Kopper: Das ist das Szenario der neuesten Tatort-Folge "Der glückliche Tod" mit Ulrike Folkerts, die das Erste am Sonntag um 20.15 Uhr ausstrahlt.
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