Mehrere Forschungsprojekte sollen Aufklärung bringen

Psychoterror in Heimen?

In die seit Jahren schwelende Debatte über die Misshandlung von Jugendlichen in kirchlichen und staatlichen Kinderheimen der Nachkriegszeit kommt Bewegung. Derzeit laufen mehrere wissenschaftliche Studien, die die Situation der Heimkinder von den 50ern bis in die 70er Jahre erforschen. Sie sollen auch das Ausmaß der Misshandlungen ermitteln und zugleich die damaligen pädagogischen Konzepte analysieren.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Zentrales Projekt ist ein im Sommer gestartetes und breit angelegtes Forschungsvorhaben der Universität Bochum, bei dem Kirchenhistoriker bis 2010 Licht ins Dunkel der Vorwürfe bringen sollen. Drittmittel dafür kommen von der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche, den Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas sowie den katholischen Orden. Auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat im vergangenen November ein eigenes Forschungsprojekt über Heimerziehung zwischen 1945 und 1980 begonnen.

Dass es Fälle von Misshandlungen von Heimkindern gegeben hat, bestreiten die Kirchen nicht. Da wurden Kinder und Jugendliche körperlich schwer gezüchtigt, in Dunkelzellen gesperrt oder sogar missbraucht - mit traumatischen Folgen bis heute. Umstritten ist, wie weit es sich um Einzelfälle handelt, oder inwieweit ein System dahinter steckt.

«Spiegel»-Journalist Peter Wensierski, Autor des 2006 erschienenen Buchs «Schläge im Namen des Herrn», behauptet, dass bis Mitte der 60er Jahre in kirchlichen und staatlichen Heimen Hunderttausende Kinder und Jugendliche schikaniert worden seien. Das hält die katholische Kirche für weit hergeholt: Bei den Misshandlungen handele es sich um «Einzelfälle, die sich allerdings mächtig häufen», erklärt der für die katholischen Heime zuständige Bundesverband BVkE. In Kirchenkreisen verweist man darauf, dass sich nach Aufkommen der Debatte in den vergangenen Jahren bundesweit weniger als 150 Personen meldeten, die möglicherweise solche Misshandlungen erlitten haben.

Für die Kirchen ist wichtig, dass in der Debatte auch der gesellschaftliche Hintergrund beachtet wird: Durch die vielen Kriegswaisen, Flüchtlingskinder und von ihren Familien entfremdeten Jugendlichen hätten die kirchlichen Heime nach 1945 immense Aufgaben schultern müssen, heißt es in einem Bericht an den Petitionsausschuss des Bundestags. Und das, obwohl auch viele Einrichtungen kriegszerstört oder durch Flüchtlinge überbelegt gewesen seien und eine pädagogische Ausbildung vielerorts gefehlt habe. Zugleich betonen die Kirchen, die Vorstellungen über Erziehung seien in der Nachkriegszeit weitaus autoritärer gewesen als heute.
Schläge oder der Zwang, das Essen aufzuessen, seien auch in Familien durchaus üblich gewesen.

Erste wissenschaftliche Erkenntnisse zur Aufarbeitung des Themas liefert eine der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegende «Sachstandserhebung» der von der Deutschen Bischofskonferenz getragenen Kommission für Zeitgeschichte in Bonn. Dafür wurden Archive des Landschaftsverbands Rheinland durchforstet. Strafbücher und Prüfberichte der überwachenden Landesjugendämter und Fürsorgeeinrichtungen liefern laut Studie keine Hinweise darauf, das es in katholischen Heimen Konzepte gab, die Gewalt als pädagogisches Mittel vorgesehen hätten, heißt es. Auch gebe es keine Hinweise auf eine besondere Gewaltbereitschaft der Erzieher. Zugleich werden Einzelfälle von Misshandlungen und unrechtmäßigen Strafen benannt.

Differenziert äußert sich die Studie auch zum Vorwurf des
Arbeitszwangs: In den untersuchten Heimen habe es «grundsätzlich keine wirtschaftliche Ausbeutung der Jugendlichen» gegeben, heißt es. Regelmäßige Arbeit habe zum damals üblichen Konzept der «Arbeitserziehung» gehört. Bei Klagen über unzureichende Bezahlung müsse berücksichtigt werden, dass die Landesjugendämter von den Jugendlichen einen Teil ihres Lohnes für Unterkunft und Verpflegung gefordert hätten. Nicht ausschließen will die Studie andererseits aber auch, dass einzelne Jugendliche Arbeiten leisten, die «nach damaliger Rechtslage sozialversicherungspflichtig» waren.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat mehrfach deutlich gemacht, dass sie eine lückenlose Aufklärung will. Die Kirchen unterstützen deshalb auch die Einrichtung eines Runden Tisches, den der Petitionsausschuss des Bundestags derzeit vorbereitet. Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen verlangt, dass jedes einzelne Opfer Wiedergutmachung erhält. Man müsse ihnen ihre Würde wiedergeben, «so weit das überhaupt möglich ist», sagte er im Interview der KNA. Dazu gehört nach seinen Worten zum einen eine Entschuldigung, zum anderen sehr konkrete Hilfe medizinischer, therapeutischer oder auch materieller Art.