Marienerscheinungen gibt es bereits seit frühchristlicher Zeit

Und Lourdes machte Karriere

Marienerscheinungen werden seit dem 18. Jahrhundert zu den "Privatoffenbarungen" gezählt. Als solche werfen sie große theologische Probleme auf, da Gottes Offenbarung nach klassischer Lehre mit dem Tod des letzten Apostels an ihr Ende gekommen ist. Das kirchliche Lehramt trennt daher scharf zwischen Offenbarung und Privatoffenbarungen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Letztere können nach katholischer Lehre die ursprüngliche Offenbarung nur in Erinnerung rufen, erklären oder aktualisieren. Auch steht es laut aktuellem Weltkatechismus jedem Katholiken frei, an solche Privatoffenbarungen zu glauben oder eben nicht, auch wenn die Kirche sie als gesichert ansieht.

Das gilt auch für Lourdes, wo der Schafhirtin Bernadette Soubirous zwischen dem 11. Februar und 16. Juli 1858 insgesamt 18 Mal die «Unbefleckte Empfängnis» erschienen sein soll. Kritiker wie der britische Historiker David Blackbourn sehen in Lourdes eine Art Schema aller nachfolgenden Erscheinungen: eine einfältige Seherin aus dem Volk, geprägt durch Armut, Krankheit, Vernachlässigung und rohe Behandlung durch Eltern und Umwelt; Mitteilung einer frommen Botschaft, Heilwasser und Bau eines Heiligtums; die Ablehnung des Pfarrers, die feindselige Reaktion der Zivilbehörden, Berichte von Wunderheilungen und schließlich die Errichtung eines offiziellen kirchlichen Kults.

In den vergangenen Jahrzehnten wurden die Kriterien der Anerkennung immer strenger - so streng, dass selbst ein Theologe vom Format Karl Rahners daran Anstoß nahm. Rahner, des Mystizismus unverdächtig, hielt es für nicht gerechtfertigt und sogar für gefährlich, für Privatoffenbarungen einen höheren Sicherheitsgrad zu verlangen als für die ursprüngliche Christus-Offenbarung.

Marienerscheinungen lassen sich bis in frühchristliche Zeit zurückverfolgen. Bereits im Jahr 41 soll Maria dem heiligen Jakobus auf einer Säule erschienen sein, während er im heutigen Spanien missioniert habe. Das Mittelalter hindurch blieb der typische Marien-Visionär männlich, erwachsen, zumeist Kleriker. Ab etwa 1400 setzt sich allmählich das moderne Erscheinungsbild durch: Mädchen aus dem einfachen Volk sind die «Auserwählten», Hirten von Kühen und Schafen zumeist, der Ort einsam gelegen in Wald und Flur. Beispiele sind das Alpendorf La Salette 1846, das Pyrenäendorf Lourdes 1858 oder das saarländische Marpingen 1876.

Wissenschaftler sehen die Erscheinungen in zeitlichem Zusammenhang mit wirtschaftlichen und politischen Krisen: Hungersnöten, Cholera, Missernten. In den 1860er und 1870er Jahren, um den Ersten Weltkrieg oder das Krisenjahr 1933 gebe es eine besondere Häufung. Die Zahl der Erscheinungen ging europaweit in die Hunderte, mit Spitzen in Italien und Frankreich. Allein im Bistum Valence wurden zwischen März 1848 und Dezember 1849 rund 150 Mariophanien gemeldet.

Dennoch erlangten nur die allerwenigsten Erscheinungen - oder vielmehr die darin verkündeten Botschaften, wie der Marienforscher und Dogmatiker Wolfgang Beinert präzisiert - die kirchliche Approbation. In Frankreich waren es La Salette, Lourdes und Pontmain (1871). Mit ihnen wurde die Proklamation des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis von 1854 vorbereitet bzw. besiegelt.
Zugleich gelang es den Bischöfen allmählich, die regelrechte Marien-Welle zu kanalisieren - etwa durch die Gründung zahlreicher Marienkongregationen.

Noch 1949 wurden die Vorgänge im portugiesischen Fatima von 1917 oder die belgischen Erscheinungen von Beauraing 1932 und Banneux
1933 anerkannt. Sie alle folgen dem Schema von Lourdes. Seitdem ist keiner weiteren die offizielle Genehmigung zuteil geworden. Ein besonderer Fall ist Medjugorje in Bosnien-Herzegowina. Hier dauern die angeblichen Erscheinungen seit 1981 an.

Ein «deutsches Lourdes» gibt es nach wie vor nicht: Nachdem der Brite Blackbourn 1997 die fast vergessene Geschichte Marpingens aus dem Schatten der Vergangenheit holte und zu einem sozialgeschichtlichen Phänomen der Kulturkampfzeit erklärte, fanden sich 1999 drei neue «Seherinnen». 1876 hatten drei Marpinger Kinder von Marienerscheinungen berichtet und damit binnen einer Woche Zehntausende Pilger angezogen. Am Ende ließ Reichskanzler Otto von Bismarck die Armee aufmarschieren und den Zugang zum Härtelwald versperren.

Als 1999 erneut Tausende Menschen ins Saarland pilgerten, ordnete der damalige Trierer Bischof Hermann Josef Spital eine gründliche Prüfung an und verbot, von «Erscheinungen» und «Seherinnen» zu sprechen. Er nannte sie die «Vorgänge im Härtelwald». 2005 erklärte sein Nachfolger, Bischof Reinhard Marx, es stehe nicht fest, dass den Ereignissen «ein übernatürlicher Charakter» zukomme.