20. Juli 2008

Teil 17: Madrid - da sind wir wieder dabei

Sechs Uhr. Als ich die Augen aufschlage, schaut mich St. Francis de Sales an, in der einen Hand den Hirtenstab mit der anderen segnet er mich. Er ist der Patron der Journalisten, deshalb hat man eine mannshohe Gipsfigur hier aufgestellt. Im "Interview Room I" habe ich mir gestern Nacht um drei Uhr einige Sessel zusammengeschoben und mir so eine Schlafecke eingerichtet. Immerhin habe ich so drei Stunden die Augen zu machen können. Denn heute wird ein anstrengender Tag.

 (DR)

Abschlussmesse mit dem Papst auf dem Marien…äh, natürlich nicht, auf der Pferderennbahn. Aber doch erinnert so viel an den Weltjugendtag in Köln, dass ich nicht der einzige bin, der immer wieder vom Marienfeld spricht. Den Kölnern, die ich dort wieder aufsuchen werde, geht es ganz genau so. Um vier hat es sich noch ein Father aus Burma in einer anderen Nische des Raumes gemütlich gemacht. Schon seltsam - da liege ich auf Sesseln, auf denen zig Bischöfe, Kardinäle, Monsignores gesessen haben, um Interviews zu geben, da muss ich doch gut und selig schlafen. Bis sechs Uhr gelingt mir das auch, dann stürmt der philippinische Putzmann den Raum, aufstehen, in die Schuhe geschlüpft, auf geht es zum „Racing Course."

Wärmer als in der Unterkunft im College, sei es gewesen, erzählt mir Maria im Kölner Block, hier habe es nicht so gezogen: „Außerdem konnte man hier besser kuscheln". Es war ihre erste Nacht unter freiem Himmel. Mit ihrer Freundin Vanessa ist sie dicht „beieinander gerutscht." Zum Frühstück gibt es nun einen Schokoriegel und Obstsalat aus der Dose. Beide haben sich schon vor Tagen erkältet, doch Entwarnung, es wird langsam besser. Auch die gestern Abend noch so heisere Hannah wirkt heute Morgen viel frischer und vergnügter. Sie hatte sich gestern vor der eiskalten Nacht fast schon gefürchtet: „Ich habe mich mit Silberfolie doll eingewickelt", erzählt die sechzehnjährige Kölnerin: „und dann an Sabine angekuschelt."

„Auf dem Marienfeld war es sehr viel kälter", weiß Lena: „weil es dort am Morgen feucht war. Mein Schlafsack war da richtig nass." In Sydney meint es Petrus gut mit den Pilgern, es hat nicht ein einziges Mal geregnet. Und in der Nacht war es auf der Pferderennbahn auch ganz still, nichts habe man gehört, eine richtig friedliche Nachtruhe. Gut sechs Stunden haben die meisten geschlafen. Früh um sechs wurden sie dann von einer Trommelgruppe geweckt, die laut „Wake up" krakehlend durch die Gänge gezogen sei. Das sei unnötig gewesen, meint Lena ärgerlich. Viel zu früh. Gerne hätte man noch eine Stunde gepennt. Denn die Kölner haben gestern Nacht, nachdem das Showprogramm auf der Bühne endlich zu Ende war, natürlich noch eine Stunde gesungen. Um 24 Uhr hat Dominik die Gitarre ausgepackt: „Kölsche Hymnen" für alle.  

„The church needs a renewal", predigt der Papst: "She needs your faith, your idealism and your generosity". Die Jugendlichen sitzen, kauern, liegen, viele hören konzentriert zu, andere sind eingenickt. Friedliche Gesichter - die Sonne wärmt angenehm, entspannte Pilger, ausgestreckt, die Hände auf dem Bauch locker gefaltet, wieder andere aneinandergelehnt. „Darf ich mich auf Deinen Schoß legen", flüstert ein Mädchen. Die Stimme von Benedikt wirkt beruhigend, so gleichförmig und monoton liest er den Text ab: „Young friends, the church needs the gifts of young people, all young people. - Do not be afraid to say yes to Jesus". Nach diesen Worten - schon gegen Ende der Predigt -  plätschert zum ersten Mal sanfter Applaus durch die Reihen.

Zum Glaubensbekenntnis rappeln sich die meisten auf, alle schaffen es nicht. Da müssen die wachen Pilger für die schlafenden, hundemüden Mädchen und Jungen eben mitbeten, geht doch auch, denke ich. Doch dann der Friedensgruß - jetzt werden alle geweckt, angestupst, Hände geschüttelt, und sie schälen sich aus ihren Decken und Schlafsäcken, stehen mit roten schlafmüden Backen da, gähnen, husten, einige wirken doch angeschlagen. „Der Friede sei mit Dir." Viele umarmen sich herzlich, vielleicht auch schon ein erster leiser Abschied vom Weltjugendtag in Sydney? Und am Horizont zieht eine graue Wolkenfront auf, hoffentlich hält das Wetter bis zum Nachmittag. Aber noch lässt sich die Sonne nicht lumpen und setzt sich immer wieder durch. Das wärmt die müden Glieder.

Seltsam - die Abschlussmesse zieht auf merkwürdige Art und Weise nicht nur an den meisten deutschen Jugendlichen vorbei. Später sagen mir viele, es kam keine Stimmung auf. Die haben da vorne gemacht, aber uns nicht mit einbezogen. Es gab kaum Lieder zum Mitsingen. Der Funke sprang einfach nicht über. Darum haben sich viele auch wieder hingelegt und sind einfach eingeschlafen. Das sei in Köln bei der Abschlussmesse viel besser gewesen, heißt es.

Und auch ich bin von der Vigil gestern Abend viel begeisterter heimgekehrt als jetzt von der Messe. Was heißt hier Stimmung? Es gab heute keine Augenblicke der Andacht und gemeinsamen Konzentration. Nur wenige verfolgten das Geschehen am Altar, es blieb weit entfernt. Ich habe nicht nur schlafende Pilger gesehen, sondern andere die Postkarten schrieben oder in ihren Sachen kramten. Auch habe ich mich gefragt, ob es richtig ist, den müden und erschöpften Pilgern drei Stunden Messe zuzumuten. Noch und noch ein Bischof dankte, noch und noch ein Bischof lobte den „Holy Ghost and his wisdom", das nahm einfach kein Ende.

Aber dann ganz zum Schluss der Messe wurden alle doch noch einmal hellwach. Denn der Papst verliest eine bedeutende Ankündigung, auf die viele gewartet haben: „The next world youth day will take place in Madrid". Da brandet unter den deutschen Pilgern lautstarker Jubel auf: „Super. Madrid. Ich habe gerade in der Oberstufe spanisch gelernt," schwärmt Maria. Das ist nicht so weit weg, freuen sich andere, und viel wärmer. Einige überlegen sogar schon, ob sie nicht mit dem Fahrrad nach Spanien fahren könnten. Da gibt es doch Pilgerwege. Das wäre doch was! Aber alle sind sich einig: „Wir sind dann wieder dabei."

Aufbruch - aber nicht sofort. Erst Mittagessen: „Hühnchen mit irgendwas Salat", beschreibt jemand das Durcheinander in der Dose, das alle tapfer in sich hinein löffeln. Überrascht werden alle noch durch ein Feuerwerk auf der Pferdebahn. Am helllichten Tage? Warum nicht gestern Abend? Eine Frage, die mir keiner beantworten kann.

Der Weg zurück ins College ist lang und mühsam. Bis Dienstag bleiben die Kölner Jugendlichen noch dort, dann steht wieder ein Umzug an - die meisten wechseln ins olympische Dorf. Morgen, am Montag, fahren alle in die Blue Mountains und für heute gilt nur noch: schlafen, schlafen, schlafen.

Ich nehme wieder den Bus ins Pressezentrum, will schnell die Interviews ins domradio überspielen. Kaum habe ich meinen Computer aufgebaut und will mir noch einen Tee holen, läuft mir Pater Lombardi, der Pressesprecher des Papstes, über den Weg. Ich weiß, dass er radebrechend Deutsch spricht, er hat in Heidelberg studiert, und ich fasse all meinen Mut zusammen und frage ihn, ob er für ein Interview drei Minuten Zeit hat. Pater Lombardi ist guter Dinge, er lacht und sagt: „Aber ich will nicht furchtbare Verwirrungen machen mit meiner Sprache." Ich beschwichtig, nein - das werde schon gut gehen und frage ihn nach seiner Bilanz für den Weltjugendtag in Sydney. Lombardi lobt das Engagement der australischen Kirche für den WJT. Und er freut sich sehr darüber, dass die Gesellschaft auf dem fünften Kontinent das internationale katholische Jugendtreffen so gut angenommen hat. „Die Jugendlichen aus der ganzen Welt nehmen den großartigen Eindruck mit nach Hause, dass die Kirche universal ist", meint der Sprecher des Papstes weiter: „und dass sie auch in der säkularen Welt einen wichtigen Beitrag leistet. Und Benedikt? Hat der die anstrengenden tage gut überstanden? Lombardi lacht noch einmal: „Wunderbar. Er ist in völliger Gesundheit", sagt er.

Ach ja. Auch alle Sonntagszeitungen feiern den Papst mit großen Schlagzeilen und noch größeren Bildern. „Mass of Humanity", schreibt der Sunday Telegraph und bringt eine „World Youth day souvenir" Beilage. 235.000 Menschen seien bei der Vigil gestern Abend gewesen. Aber viel wichtiger - auf der erste Seite im „Sun-Herald" steht in fünf Riesenbuchstaben: „Sorry". Untertitel: „A beautiful picture from a famous day when one word said so much … Pope apologizes to sex abuse victims". Für die Menschen in Australien bedeutet diese Entschuldigung sehr viel. Die Zeitungen sind voll davon, und auch ich habe in den Gesprächen mit den Menschen gemerkt, dass sie darauf gewartet haben - und dass sie „really happy" sind über diese Worte.