"Union für das Mittelmeer" vor der Gründung

Politischer Zündstoff

Staats- und Regierungschefs aus mehr als 40 Ländern gründen heute in Paris die "Union für das Mittelmeer". Die EU und ihre südlichen Nachbarn wollen dadurch ihre Zusammenarbeit unter anderem in der Energiepolitik, beim Umweltschutz und im Verkehrswesen vertiefen. Es bleibt abzuwarten, welche Schlagkraft die neue Union haben wird.

 (DR)

Radi Bakkuli ist zufrieden. Bis vor kurzem flackerten in seinem winzigen Bauernhaus nahe der marokkanischen Nordküste abends Kerzen  jetzt baumelt eine Glühbirne von der Decke. Sogar für einen Fernseher reicht der Strom noch. Eine kleine Revolution, die dem grauen Kasten auf Bakkulis Hausdach zu verdanken ist: eine Solaranlage.

Bakkuli profitiert von einem Entwicklungsprojekt, das unter anderem von der deutschen öffentlichen Bank KfW unterstützt wird. Künftig könnten solche Initiativen noch mehr Auftrieb erfahren. Am Sonntag wird in Paris die «Union für das Mittelmeer» aus der Taufe gehoben: eine politische Plattform, die die 27 EU-Staaten und zahlreiche Länder aus Südosteuropa, Nordafrika und dem Nahen Osten versammelt.

Die Union soll Vorhaben voranbringen, die für die Partnerländer gleichermaßen von Nutzen sind. Treibende Kraft ist Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Ein «Solarplan für das Mittelmeer» gehört dabei zu den zentralen Vorschlägen, auch wenn die Ideen dazu noch eher vage sind.

Mit Interesse schaut die EU auf das Gebiet rund um die Wüste Sahara, das theoretisch Solarenergie für ganze Kontinente liefern könnte. Europa will ab 2020 ein Fünftel seiner Energie aus erneuerbaren Quellen beziehen und setzt dabei auch auf Importe. Im Gegenzug könnte der Norden Finanzmittel und Spitzentechnologien bereitstellen.

Israel sorgt für Wirbel
«Im Energiebereich könnte die Union einiges bewirken», sagt ein deutscher Diplomat in Marokkos Hauptstadt Rabat. Doch es geht nicht nur um saubere Stromquellen: So sollen neue Autobahnen gebaut und der maritime Frachttransport intensiviert werden. Vorgesehen sind auch Projekte zur Säuberung des Mittelmeers und eine Zusammenarbeit beim Katastrophenschutz. Einige Regierungen wünschen sich eine Kooperation in Migrations- und Terrorismusfragen.

Ein Strauß von Vorschlägen also  deren Umsetzung schwieriger werden könnte als ihre Ausarbeitung. Die neue Mittelmeer-Union hat bereits in ihrer Geburtsstunde mit zwei großen Problemen zu kämpfen. Zum einen ist ihre Finanzierung noch weitgehend ungeklärt, zum anderen sind einige der künftigen Partner schon jetzt untereinander zerstritten.

Schlagkraft bleibt abzuwarten
Schon alleine die Mitgliedschaft Israels dürfte für Wirbel sorgen. Etliche Mittelmeer-Anrainer gehören der Arabischen Liga an, die im Nahostkonflikt den Palästinensern den Rücken stärkt. Auch anderswo gibt es Konflikte, etwa zwischen Marokko und Algerien. Die Spannungen sind ein Grund, weswegen die bisherige regionale Zusammenarbeit («Barcelona-Prozess») von mäßigem Erfolg war.

Geklärt werden müssen auch organisatorische Fragen: So wird wohl erst im Herbst entschieden werden, wo das Sekretariat der Mittelmeerunion angesiedelt wird. Geleitet werden soll die Union von einem EU- und einem Nicht-EU-Land zusammen. Möglicherweise erhalten auch EU-Kommission und Chefdiplomat Javier Solana ein Mitspracherecht.

So bleibt abzuwarten, welche Schlagkraft die neue Union letztlich haben wird. EU-Diplomaten üben sich im Optimismus: Eine «echte institutionelle Revolution» werde es geben, sagt etwa ein Franzose. Alle Länder könnten gleichberechtigt mitentscheiden, ob auf höchster politischer Ebene oder in kleinen Arbeitsgruppen. «Das wird vielleicht ein bisschen kompliziert, aber dafür werden wir echte Partner sein».

amnesty kritisiert geplante EU-Mittelmeer-Union
Die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) fürchtet als Konsequenz der EU-Mittelmeer-Union Rückschläge bei den Menschenrechten. In den bisherigen Plänen für die verstärkte Zusammenarbeit der Mittelmeerstaaten der EU, Nordafrikas und im Nahen Osten fehle jeder Bezug auf Menschenrechte, kritisierte das Brüsseler EU-Büro der Organisation am Freitag.

Das stelle die Grundprinzipien der EU für ihre Zusammenarbeit mit anderen Ländern in Frage. Es bestehe die Gefahr, dass künftig im Verhältnis der EU zu den Mittelmeeranrainern nur kommerzielle Erwägungen den Ausschlag gäben, so amnesty. Gegenwärtig sähen die Mechanismen der Zusammenarbeit dagegen einen Dialog über Menschenrechte vor.