Mittwoch, 09. Juli 2008 (ergänzt)

Teil 6 - Die Tage in den Diözesen

Mit Father Eugene, Father Brendan, der für St. Francis hauptverantwortlich ist, und Pfarrer Dominik noch lange in der Pfarrhausküche gesessen. Es gab Sandwiches und Rotwein. Alle waren müde aber sehr erleichtert. Die Umquartierung der Jugendlichen in die Familien hat gut geklappt. "Out of Chaos you made Creation", scherzt Father Brendan.

In Greensborough pflanzen Jugendliche Setzlinge (DR)
In Greensborough pflanzen Jugendliche Setzlinge / ( DR )

Ich will von ihm wissen, was er vom Weltjugendtag und vom Papstbesuch für die katholische Kirche in Australien erwartet. Der vornehme alte Herr senkt nachdenklich sein Haupt. Stille. Ein, zwei, drei Sekunden verstreichen und dann sagt er nur leise und sehr traurig: „Hope". Was er damit meint? Der Papst kommt nach Australien, um eines zu erreichen: „To save the catholic church in Australia." Genau das habe ich in den Tagen zuvor auch schon von anderen Geistlichen hier gehört. Warum ist der Weltjugendtag denn bis ans Ende der Welt verlegt worden?

Australien - das ist für die Jugend aller anderen Länder kaum zu erreichen, das liegt fernab, dahin zu fahren, erfordert viel Energie und auch viel Geld. Der Weltjugendtag in Sydney ist der katholischen Kirche vor Ort, das heißt der Jugend hier gewidmet. Die soll davon profitieren. Von der Kirche will hier kaum noch jemand etwas wissen. Die ist in großen Schwierigkeiten. SOS - funkt Pfarrer Brendan, oder wie er etwas resigniert flüstert: „We need hope". Aber was auch immer geschieht, meint er überzeugt weiter: „The holy spirit" wird schon wissen, was er zu tun hat: „Let us see."

Und dann immer und überall das gleiche! Natürlich gibt es das auch in Australien. Eine Protestbewegung gegen den Papstbesuch: „No! To the pope", heißt die und kritisiert die staatliche Unterstützung für den Besuch und Auftritt Benedikts. Man mäkelt da an den Unkosten herum, die der Regierung durch die Sicherheitsmassnahmen, den Einsatz der Polizei, die Sperrung der Straßen entstehen. Protestanten, Anglikaner und säkulare Kräfte haben sich hier zusammen geschlossen. Aber ist der Papst nicht das Oberhaupt des Vatikan? Würden bei jedem anderen Staatsbesuch nicht ähnliche Kosten anfallen. Ein blöder Protest.

Kurz nach Mitternacht falle ich auf meine Matratze. Jeder geplagte Knochen ruft mir zu: doll, wie weich, wie auf einer Wolke. Gute Nacht.


Es war kalt. Am Frühstückstisch, Father Brendan zieht die beige Übergangsjacke gar nicht erst aus, erfahre ich von ihm, dass es keine vier Grad gewesen sei. Der Heizlüfter in meinem Zimmer machte einen Mordskrach. Ich habe ihn ausgeschaltet und zwei Jacken übergezogen. Das war doch eher ein preisgünstiger Schlafsack, den ich da gekauft habe. In der Küche des Pfarrhauses steht ein Bildschirm, der die Bilder der sechs Überwachungskameras rund um das Gebäude zeigt. Eine Kamera ist in der Chapel installiert. Da kann Pfarrer Brendan schon beim Frühstücken sehen, wie viele Menschen in der offenen Kapelle das Allerheiligste anbeten. Oft stellt er das Allerheiligste schon früh zur Anbetung aus. Aber auch heute um acht Uhr ist niemand in der Chapel.  

Um halb zehn erster Treffpunkt in St. Francis. Heilige Messe mit den Jugendlichen aus Melbourne, Stadtteil Mill Park. Die australischen Jugendlichen hier sind ein wenig traurig. Zur Begrüßung hatten sie vor die Kirche ein riesengroßes selbstentworfenes WJT-Tuch aufgehängt. Das Tuch wurde am Wochenende gestohlen. In aller Eile haben sie nun ein neues, ein kleines buntes Begrüßungsbild gemalt und über den Altar gehängt. Grundschulkinder haben eine Begrüßungstüte gepackt - mit Koala Bärchen, Bonbons, einer Fahne und einem Stadtplan. Pfarrer Dominik predigt über Paulus, der ein Zeltmacher von Beruf gewesen sei, immer unterwegs, immer habe der in Zelten gelebt, überall habe Paulus Gemeinden gegründet und die Frohe Botschaft unter die Menschen gebracht. So ähnlich seien wir doch auch unterwegs - hier in Australien, in Turnhallen ähnlich wie in einem Zelt, und so geben wir doch auch den Menschen hier die Freude am Glauben weiter.

Nach der Messe aufgeregter Austausch in der Kölner Delegation. „Wo bist du untergebracht?" - „Wie sind Deine Gasteltern?" - „Hast Du heute Nacht auch so gefroren?" - „Ich hatte sogar Heizdecken in den weichen Betten," erzählt Kathrin, „zuerst habe ich vorsichtig mit dem Finger auf die Matratze getippt, wie weich die war, und dann habe ich mich nur noch fallen lassen". Einige geben richtig an: „Wir haben sogar ein eigenes Marmorbad, das ist riesig" - Überall gab es leckeres Abendessen („die wollen uns hier wohl mästen"). Und während einige noch lange mit den Familien geplaudert haben, sind andere vor einem Film einfach eingeschlafen: „Morgen bringen wir denen Lieder bei", hat Daniel beschlossen. Kölsche und christliche Lieder natürlich.

In den Gemeinden in Melbourne beginnen heute die internationalen Tage der Begegnung, das heißt hier konkret Jugendaustausch zwischen den Pilgern aus dem Erzbistum Köln und einheimischen Jungs und Mädchen. In Greensborough im Norden von Melbourne pflanzen zum Beispiel  Messdiener aus Altenberg gemeinsam mit Jugendlichen aus Australien kleine Setzlinge. Es soll etwas bleiben vom Weltjugendtag, einer Erinnerung an das Treffen, an den fröhlichen Austausch. Nachher schreiben alle deutschen Mädchen und Jungens ihre Namen auf eine Holztafel, die wird präpariert und neben den Bäumen aufgestellt. Wie heißen die denn - diese kleinen Bäume: „Säphlins," meint Claire. „What? Please?" - „Baby Trees," fasst sie, als keiner etwas mit Säphlins anfangen kann, vereinfacht zusammen. „Sehen doch aus wie Sträucher", sagt Fabian, dem das ganze viel Spaß macht: „Wie bei meiner Oma im Garten. Bäume pflanzen. Ist schon toll, wenn ich dann auch noch überlege, dass da am anderen Ende der Welt ein Baum wächst, den ich eigenhändig in die Erde gesteckt habe." Er denkt darüber nach eines Tages wieder zu kommen und nachzuschauen, was aus dem Baum geworden ist.  

In der Gemeinde St. Marys wirkt alles viel lebendiger und optimistischer als drüben in St. Francis, wo ich übernachtet habe. Der traurige Father Brendan, der sich sehr um die katholische Kirche in Australien sorgt. In St. Marys bekommt man ein anderes Bild. Elizabeth zum Beispiel hat den Eindruck, dass die katholische Kirche in Australien sogar wächst. „No reason for resignation", sagt sie. Die anderen Mädchen, die im Kreis dem Interview zuhören, stimmen ihr quietsch vergnügt zu. In ihrer Gemeinde ist die Kirche lebendig. Aber sie sagen auch, dass es sehr unterschiedlich ist, dass man genau hinschauen muss, dass es überall anders ist. Haben sie auch etwas an der Kirche oder am Papst auszusetzen? „No. Nothing".

Nachgefragt, ob sie sich vorstellen könnten, dass Frauen Priester werden, antworten sie dann aber vergnügt: „Yes. Of course. It definitly would be right, that women would be priests." Tiffany ist 18 Jahre alt und findet es nur gerecht: "It would be fair, to give them the opportunity. Women are able to do this, of course." Und dann stimmen alle zu, als Elizabeth sagt, dass sich in den kommenden Jahren viel ändern wird. Vielleicht meinen sie auch, dass sich in den kommenden Jahren viel ändern muss?

Max, der Altenberger Obermessdiener, war gestern Abend einer Einladung des Bischofs von Melbourne gefolgt: „Beer an Bishop", hieß dieser offene Abend in einem Pub mitten in der Stadt. Ganz offen wurde da geredet. Hauptthema, meint Max, die Überalterung der Kirche in Australien - oder auch in Deutschland. „Hier vielleicht nur etwas weiter fort geschritten, weil es ohnehin weniger Katholiken gibt, weil das Land hier aus viel mehr unterschiedlichen Glaubens- und Gesellschaftsgruppen besteht".  

Zurück zur St. Francis Parish. In den Gemeinden, den Suburbs von Melbourne fragen wir nur freundlich, wie man nun am besten von A nach B kommt und schon bietet sich jemand an, uns einen „Lift" zu geben. Dieses Mal ist es Harald, der uns fährt. Er schimpft auf Sydney. Die Protestler dort, die gegen den Papstbesuch meckern. Das sind immer die gleichen, ist er empört. Wenn es nach denen gegangen wäre, dann hätte es in Sydney auch keine olympischen Spiele gegeben. Man muss dazu sagen, dass in Melbourne viel auf die in Sydney geschimpft wird. Melbourne und Sydney, das ist wie Köln und Düsseldorf.

Die Gemeinde in St. Francis hat Pizza spendiert. Alle greifen hungrig und begeistert zu. Ein wenig Luft holen am Nachmittag. Am Abend lädt Father Eugene zum Rosenkranzgebet. In einer anderen Gemeinde, in Epping,  wollen die australischen Familien unterschiedlicher Herkunft zu einem internationalen Essen einladen. Küche aus allen Kontinenten. Und morgen geht es weiter. Ein anderes Angebot der internationalen Tage der Begegnung: mit dem Jeep und dem Ranger in den Forest.
Das Programm macht hungrig. So beschließe ich am Abend, den interkontinentalen Speiseplan in Sankt Peter in Epping zu testen.

Ein Taxi soll mich dorthin bringen. Als ich aber dem Taxifahrer den Namen der Kirche und die Straße nenne, fragt der sehr unfreundlich, ob ich denn den Weg dorthin wüsste. „No", antworte ich und denke, dass ist doch der Job des Taxifahrers. Er hält an und sagt, ich solle aussteigen, da er mir dann nicht weiter helfen könne. Das ist meine erste Begegnung mit einem unfreundlichen Menschen in Australien, die aber gleich wieder ausgeglichen wird, indem ich auf dem Parkplatz von St. Francis, meiner Unterkunft, einen netten dicken Mann treffe, der fragt, was denn passiert sei. „That is not o.k." stimmt der Mann mir zu und bietet  sofort einen „Lift" zu Sankt Peters an. Very friendly und nicht einmal einen Dollar dazu gezahlt. Also!  

„Hej, Kölle Du ming Stadt am Ring". Nicht nur die Küche ist bunt und interkontinental, sondern auch der Austausch von Musik und Tanz. Im weißen Partyzelt auf dem Parkplatz der Pfarrgemeinde springen Inder zum Takt von: „Wir sind Kölsche Mädsche" durch die Luft. Kieran aus Melbourne wird ohne möglichen Widerstand in die vorbei kreisende Polonaise geschoben: „Die Karawane zieht weiter, der Sultan hat Durscht." - „What does that mean?" blickt er mich fragend an. „Don´t ask, just dance".

Kieran ist 20 Jahre alt, kein Student sondern „Chef." Ich frage nach: „What is your job?" - „Chef", wiederholt er. Wir kommen ins Gespräch, und es stellt sich heraus, dass er Koch ist. Chef heißt hier Koch, man lernt in Australien doch ständig etwas dazu. „Warum gibt es so wenig Jugendliche in der katholischen Kirche in Australien?" will ich wissen. Kieran ist gläubig, er geht mindestens einmal im Monat in die Kirche: „They are not open minded", nuschelt er. Ein typischer junger Mann, Haare zerzaust, eine Gelfrisur wie man sie von Fußballspielern kennt. Seine Antworten sind kurz angebunden, so hingenuschelt, stoffelig hätte man früher dazu gesagt. Warum er denn katholisch ist? „You have something, you stand for." Gar keine schlechte Antwort.

Wen entdecke ich da in der Schunkelreihe im Partyzelt. Pfarrer Mike Kolb, den Chefjugendseelsorger des Erzbistums Köln, vergnügt eingereiht, wirft er die Beine in die Luft. Wenig später setzt er sich zu mir, so dass ich nachfragen kann: „Alles im grünen Bereich?" - „Alles bestens. Keine Zwischenfälle. Alle Kölner wohlauf", beruhigt Kolb, „wenn man mal von einer vermeintlichen Thrombose, die sich aber als leichte Muskelverhärtung entpuppte, absieht "

Und dann schwärmt er von den Tagen in Melbourne, von der Organisation hier, von der Gastfreundschaft und den vielen Familien, die hier Pilger aufgenommen haben: „Prozentual gesehen viel mehr als in Köln vor drei Jahren." Was in Sydney auf uns zukommt, macht ihm da viel mehr Sorgen. „Die Organisation dort läuft überhaupt nicht", stöhnt er. Allein das Chaos um die Registrierungen, ein wildes Durcheinander. Jetzt drohen auch noch die Eisenbahner ausgerechnet den Papstbesuch zu nutzen, um mit einem kräftigen Streik alles lahm zu legen. Undenkbar - die Folgen. Dazu dieses seltsame Gesetz der Kommune Sydney: 3000 Dollar muss derjenige zahlen, der einen Pilger belästigt. „Die Kirche hat dieses Gesetz nie gewollt", meint Kolb. Nun rufen die Protestbewegungen gezielt dazu auf, mal ordentlich Theater mit den Pilgern zu machen. Die Strafen dafür wolle man dann gern übernehmen.

Aber der Diözesanjugendseelsorger bleibt auch trotz aller überaus kritischer Medienberichterstattung der Kirche gegenüber („Das hat hier Tradition") guter Dinge: „Das ist wie in Köln. Wenn die Jugendlichen erst einmal da sind, dann wird sich das alles ändern."

Vielleicht sollte ich doch eine Wette mit ihm abschließen? Ein Thema schon seit Tagen. Wie viele Menschen werden den Abschlussgottesdienst mit dem Papst besuchen. Mindestens 400 000 meint Pfarrer Kolb. Ich glaube eher weniger. Soll ich ein Kölsch riskieren? Dazu vielleicht noch einige Zahlen: 200 000 WJT Dauerteilnehmer haben sich angemeldet. 25 Millionen Christen leben in Australien, davon fünf Millionen Katholiken. Von den 600 Kölner Pilgern sind die Hälfte Kernteamer vom vergangenen Weltjugendtag. Ein drittel, also 200, sind unter 18 Jahre alt und fahren mit, „weil sie das erleben wollen, was sie in Köln noch nicht miterleben konnten", erzählt Kolb. Und während wir noch weiter über die internationalen Teilnehmer allein in Melbourne plaudern, die aus Indien, von den Philippinen, aus Spanien, Honduras oder Südafrika kommen, genießen wir hausgemachten indischen Curry, verschiedene Pastagerichte aus Italien oder Paella aus Spanien. Ach ja -  Paella. Jetzt weiß ich auch, wo mit großer Wahrscheinlichkeit der kommende Weltjugendtag stattfindet. Madrid! Von wem ich das weiß? Wird nicht verraten!