Reportage: Wie osteuropäische Frauen Lücken im deutschen Pflegesystem stopfen

24-Stunden-Pflege bezahlbar

Mehr als zwei Millionen Pflegebedürftige gibt es heute in Deutschland. Tendenz steigend. Fast alle wünschen sich, den Lebensabend daheim verbringen zu können. Doch die meisten können sich das nicht leisten. Es sei denn, sie umgehen das System: mit Pflegerinnen aus dem Osten Europas - ein blühender Schwarzmarkt.

Autor/in:
Claudia Rometsch
 (DR)

Die alte Dame sitzt auf einem Stuhl und hält ihren braunen Teddybär fest im Arm. Ihr Blick geht ins Leere. "Noch einen Schluck, Frau Liebner", redet ihr Krystina, eine ehemalige Lehrerin aus Polen, gut zu. Sie stützt sanft den Kopf der 86-Jährigen und setzt ihr einen Becher an die Lippen. "Deiner Mama geht es gut", berichtet Krystina dabei der Tochter der Seniorin, Annemarie Wagner (Name geändert).

Die Tochter besucht ihre demenzkranke Mutter, so oft es geht. Doch als Unternehmerin hat sie keine Zeit, die Pflege selbst zu übernehmen. Deshalb wohnt Krystina bei der Seniorin. Annemarie Wagner ist mit dieser Lösung sehr zufrieden. "Ich weiß meine Mutter bei Krystina in den allerbesten Händen."

So wie Agnes Liebner wünschen sich die meisten Menschen, ihren Lebensabend in den eigenen vier Wänden zu verbringen, auch wenn sie auf Pflege angewiesen sind. Mehr als zwei Millionen Pflegebedürftige gibt es in Deutschland. Bis zum Jahr 2030 sollen es Schätzungen zufolge knapp drei Millionen sein, also 50 Prozent mehr. Doch Familien, die jemanden suchen, der die alte Mutter oder den alten Vater zu Hause betreut, werden auf dem deutschen Arbeitsmarkt meist nicht fündig, schon gar nicht zu bezahlbaren Preisen.

Monatslohn von 500 bis 900 Euro
In den vergangenen Jahren haben deshalb immer mehr Frauen aus Osteuropa diese Versorgungslücke gefüllt, meist als Schwarzarbeiterinnen. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge arbeiten 100.000 bis 300.000 Osteuropäerinnen illegal in deutschen Seniorenhaushalten. Sie bekommen in der Regel einen Monatslohn von 500 bis 900 Euro und sind weder kranken- noch rentenversichert.

Dabei gibt es auch Möglichkeiten, osteuropäische Haushaltshilfen legal zu beschäftigen. Annemarie Wagner suchte nach einer solchen Lösung und stieß dabei auf die "Hausengel", eine von sechs Agenturen, die sich im "Bundesverband der Vermittlungsagenturen für Haushaltshilfen und Seniorenbetreuung in der 24-Stunden-Betreuung" zusammengeschlossen haben.

Ihr Modell: Die Osteuropäerinnen haben in ihren Heimatländern ein Gewerbe angemeldet und bieten im Rahmen der Niederlassungsfreiheit in Deutschland ihre Dienstleistung an. Die Agenturen regeln die Vermittlung, Anmeldung und Versicherung der Arbeitskräfte. Für diese Leistung zahlt Annemarie Wagner im Monat 1.525 Euro. Die Agenturen, die insgesamt rund 700 Pflegebedürftige mit Betreuerinnen versorgen, arbeiten nach den Worten von Verbandssprecher Werner Tigges völlig legal.

Auch legales Modell nicht lupenrein
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit, eine Abteilung des Zolls, hält das Modell der Vermittlungsagenturen allerdings nicht für ganz lupenrein. "Rechtstheoretisch mag so eine Konstruktion ja möglich sein, aber in der Praxis funktioniert das in der Regel nicht", bemängelt der Sprecher der Behörde, Michael Horst. Denn als Selbstständige müssen die Osteuropäerinnen völlig eigenständig arbeiten und dürften zum Beispiel keine Anweisungen erhalten. Diese Regeln ließen sich im Alltag aber nur schwer einhalten, meint Horst.

Horst empfiehlt deshalb das Haushaltshilfen-Programm der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit, das sich ausschließlich an Pflegebedürftige und deren Familien richtet. Ansprechpartner hierfür sind die örtlichen Agenturen für Arbeit. Sie vermitteln die Arbeitskräfte aus insgesamt sieben osteuropäischen Ländern kostenlos. Bezahlt werden die Haushaltshilfen nach Tarif. Der bewegt sich je nach Bundesland zwischen 1.300 und 1.600 Euro im Monat.

Doch gleich ob die Hilfe über eine private Agentur oder die ZAV vermittelt wurde, haben beide Möglichkeiten eines gemeinsam: Die osteuropäischen Helferinnen dürfen ausschließlich Hausarbeit verrichten und nicht pflegen.

Annemarie Wagner hat deshalb auch noch einen Pflegedienst engagiert, der einmal täglich kommt. Die Rente der Seniorin und das Pflegegeld reichen allerdings nicht aus, um das alles zu bezahlen. Annemarie Wagner muss monatlich Geld zuschießen, aber das ist ihr die liebevolle Versorgung der Mutter wert. "Ich habe meiner Mutter versprochen, dass sie nicht ins Heim kommt, und das Versprechen halte ich auch", sagt sie.