Deutsch-türkisches Fußball-Wechselbad im Kölner Eigelstein-Viertel

"Tür-ki-ye!" auf Kölsch

Verlierer sehen anders aus. Nur Augenblicke, nachdem die deutsche Fußballnationalmannschaft am Mittwochabend das EM-Halbfinale 3:2 gegen die Türkei gewonnen hat, ziehen der 16-jährige Emre mit seinen Kumpels durch die Straßen des Kölner Eigelstein-Viertels, die große rote Fahne mit dem Halbmond wie ein Cape über die Schulter gehängt und lauthals "Tür-ki-ye, Tür-ki-ye!" rufend. "Unsere Fußballer haben absolut geil gespielt. Am Ende hat es eben nicht ganz gereicht, na und?" sagte der Auszubildende. Jetzt sei trotzdem "Party" angesagt.

Autor/in:
Markus Peters
 (DR)

Dabei hatte es auch für die Kölner Fans der türkischen Elite-Kicker lange Zeit nach einem Abend für die Geschichtsbücher ausgesehen. Über 100 000 Türken oder türkischstämmige Deutsche leben in Köln, nicht wenige davon rund den Eigelstein, dem ebenso etwas verlebten wie charmanten «Veedel» hinter dem Hauptbahnhof.

Die schicken Kneipen rund um die Eigelsteintorburg haben an diesem Sommerabend die Fernseher auf das Boulevard gestellt. Schöne Menschen in deutschen Nationaltrikots verteilten kühles Kölsch an die Passanten, die sich seit dem frühen Abend um die Monitore gescharrt haben. Hier sind die Deutschen überwiegend unter sich, die Stimmung ist angespannt, aber es fällt kaum ein Wort. Gelegentlich wird kollektiv aufgestöhnt, wenn Philipp Lahm oder Michael Ballack wieder mal ins Leere flanken. Erst als für Minuten die Fernsehübertragung aus Basel zusammenbricht, nehmen die Gespräche etwas an Intensität zu.

Diejenigen, die sich die zwei Euro für das Glas Bier nicht erlauben können, sammeln sich vor den Auslagen eines Elektrohändlers. Obdachlose, «Hartz IV»-Empfänger, auch einige der Junkies vom nahe gelegenen Ebertplatz folgen stumm der ebenso tonlosen TV-Übertragung in hochmodernen Plasma-Fernseher eines Schaufensters.

In den Nebenstraßen, wo sich Imbissstuben, Handyshops, Kleingewerbe und Spielotheken aneinander reihen, ist die türkische Gemeinschaft mehr unter sich. Aus auf Kipp stehenden Altbaufenstern tönt die sonore Stimme des türkischen Sportkommentators, die via Satellit an den Rhein kommt.

Auch in jedem kleinem Kiosk läuft ein Fernseher, selbst wenn der Kundenkreis an diesem Abend fast nur aus Familienangehörigen und Stammkunden besteht, gefachsimpelt wird dennoch eifrig. Und angesichts des starken Beginns der türkischen Mannschaft wundert sich Imbisschef Altan: «Was ist da los? Wir spielen ja richtig gut.» Beim türkischen Führungstreffer herrscht dann ausgelassene Stimmung, die Handys werden eingesetzt, um das freudige Ereignis im Freundeskreis zu kommentieren, so, dass der deutsche Ausgleich fast unbemerkt bleibt.

Nicht das einzige Wechselbad der Gefühle an diesem Abend. Die ebenso tollpatschige wie folgenschwere Einlage des Nationaltorwarts Rüstü beim deutschen 2:1 kommentiert Inhaber Altan mit einem deftigen Fluch, den er auch auf mehrfaches Nachfragen nicht übersetzen will. Seine Schwester Serap, die eben noch für Rüstü geschwärmt hat («Der sieht doch toll aus») sagt nichts mehr.

Sieben Minuten später dann der erneute Stimmungswechsel, Lahm dilettiert in der deutschen Abwehr und die Türken erzielen den Ausgleich. Die Inhaberfamilie im türkischen Imbiss ist jetzt schier außer sich. Altan hüpft auf und ab, skandiert «Tür-ki-ye! Tür-ki-ye!» die 15-jährige Serap strahlt.

Dann kurz darauf ist es ausgerechnet der glücklose Lahm, der dem Spiel die entscheidende Wende gibt. Altan schluckt, Serap unterdrückt die Tränen. «Trotzdem, es war ein Abend, an den wir Türken noch lange denken werden», ist sie sicher.

Aus der Innenstadt sind die ersten Hupen der Autokorsos zu hören. Von einem Reklameaufsteller im Handyshop nebenan lächelt Michael Ballack überlebensgroß den geknickten Türken zu.