Warum für Alleinerziehende das Armutsrisiko besonders groß ist

Kindergeld statt Hartz IV

Um ihren drei Kindern ein paar Euro Taschengeld geben zu können, macht Martina Nötzold am Wochenende Nachtdienst in einem Wohnheim für psychisch Kranke. Dabei hat die 39-Jährige einen Teilzeitjob, bekommt von ihrem früheren Mann Unterhalt und vom Staat Kindergeld. Trotzdem reichen die monatlich 1.200 Euro netto nicht.

Autor/in:
Heiko Ostendorf
 (DR)

Den Zoo meidet sie, denn die Kioske sind eine Versuchung. «Die Kinder werden ja unglücklich, wenn sie die anderen Eis schlecken und Pommes essen sehen», erzählt die studierte Sozialpädagogin traurig. «Das Kindergeld ist zu niedrig», findet die Mutter. Insgesamt erhält sie
462 Euro für alle drei Kinder. Essen, Kleidung, Bus fahren und der gelegentliche Schwimmbadbesuch sind mit dem Betrag kaum zu bezahlen.

Dass Alleinerziehende ein höheres Risiko haben, in Armut abzurutschen, wie es der in diesen Tagen vieldiskutierte Armutsbericht der Bundesregierung ausweist, kann Martina Nötzold aus eigener Erfahrung unterschreiben. Für sie war es als alleinerziehende Mutter von drei Kindern im Alter von sieben bis zwölf Jahren bisher nicht möglich, eine gut bezahlte Arbeit zu finden.

Selbst wenn sie diese finden würde, müsste sich jemand um die Kinder kümmern. Schließlich können Alleinerziehende nur dann erwerbstätig sein, wenn sie eine geeignete Betreuungseinrichtung haben. «Das ist privat schwer finanzierbar, aber auch eine Frage des schlichten Nichtvorhandenseins», kritisiert Stefan Hradil, Soziologe an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Die Öffnungszeiten seien nicht zugeschnitten auf Alleinerziehende: «Kitas und Kindergärten sind zu unflexibel, oft zu teuer und zu selten vorhanden.»

Die Politik habe in der Vergangenheit Armut und auch Kinderarmut nicht als Problem gesehen und zu wenig dagegen getan, meint Claus Schäfer, Forscher am Wirtschafts- und Sozialforschungsinstitut der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf: «Die Armut nimmt weiter zu.» Ein Alleinverdiener könne heutzutage kaum noch einen mehrköpfigen Haushalt finanzieren.

«Wenn Sie 1.200 Euro netto verdienen, reicht das nicht», sagt auch Peggi Liebisch vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV).
Auch bei der staatlichen Unterstützung für Kinder hapere es.
Kindergeld habe nicht die Höhe wie der maximale Kinderfreibetrag.
«Wenn man ein entsprechend hohes Einkommen hat, wirken die Kinderfreibeträge mit fast 300 Euro.» Bei keinem oder nur niedrigem Einkommen entfalle dieser Steuervorteil. Die Betroffenen bekämen dann lediglich je 154 Euro monatlich für die ersten drei Kinder und 179 Euro für jedes weitere Kind, bemängelt Liebisch.

Deshalb fordert der Verband der Alleinerziehenden eine Kindergrundsicherung von 450 Euro. Schäfer unterstützt den Appell, will sogar 484 Euro pro Kind. Im Bundesfamilienministerium äußert man sich zu diesen Forderungen nicht. Ministerin Ursula von der Leyen
(CDU) setzt auf ein nicht näher definiertes gestaffeltes Kindergeld.

«Von der Leyen meint es nicht ganz ernst», sagt Schäfer. Denn der Vorschlag der Familienministerin sei, das Kindergeld ab dem dritten oder vierten Kind zu erhöhen. «Das ist sehr preisgünstig, denn es gibt sehr wenig so große Familien. Es trifft nur einen ganz kleinen Bevölkerungskreis.» Von den alleinerziehenden Eltern haben weniger als zehn Prozent nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes drei oder mehr Kinder.

Ein höheres Kindergeld schon ab dem ersten Kind würde viele Alleinerziehende aus Hartz IV holen, sagt Markus Promberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). «Der soziale Status der Betroffenen wäre zudem ein anderer», erklärt er. Alleinerziehende müssten sich nicht als Versager im Erwerbsleben fühlen und die Kinder würden ohne Hartz IV eine leidlich adäquate Versorgung bekommen, so Promberger.