Auch Eugen Böger, Inhaber der «Glückauf»-Apotheke in unmittelbarer Nachbarschaft des Bergwerks, hat für die Stilllegung wenig Verständnis. Er spricht von «zwei Seelen», die in seiner Brust schlagen. Als selbstständiger Unternehmer sei er zwar gegen jede Form von Subventionierung, sagt er mit Blick auf die öffentlichen Zuschüsse für die heimische Kohleförderung. Doch andererseits sei es auch ein Gefühl der Sicherheit, wenn man angesichts der explodierenden Energiepreise Kohle direkt vor der Haustür habe. «Irgendwie muss die Lampe ja leuchten», sagt der Apotheker.
Kohle bald Stadtgeschichte
So wie Böger denken auch andere Menschen. «Wir fördern hier beste Kokskohle, die weltweit immer teurer wird. Und trotzdem wird der Laden dicht gemacht», schimpft ein älterer Herr, der von einer «beschissenen Lage» für die Stadt spricht. In den Protest mischt sich bei vielen aber auch Enttäuschung darüber, dass die einstmals zu den größten europäischen Bergbaustädten gehörende 180 000-Einwohner-Kommune nun bald auch ihre letzte Zeche verliert - und die Kohleförderung dann nur noch Stadtgeschichte ist.
Dazu mischt sich in der Nachbarschaft des Bergwerks auch die Sorge über wachsende Arbeitslosigkeit und weniger Umsatz in den Geschäften. «Wenn die Zeche nicht mehr ist, dann werden wir das schon merken», sagt die Betreiberin einer Tankstelle in Zechennähe. Vor allem in den kleineren Geschäften wie etwa Bäckereien und Kiosken ist die Stimmung deshalb schlecht. «Wir können jetzt nur abwarten und sehen, was kommt», sagt ein Imbissbuden-Besitzer. Rund 2500 Menschen arbeiten derzeit noch im Bergwerk Ost. Etwa genau so viele sind in der Region direkt vom Bergbau abhängig.
Auch bei den Kumpeln ist die Stimmung trotz der «Galgenfrist» aufgeheizt - und der Ärger über die Politik groß. «Die machen doch sowieso, was sie wollen», sagt einer. Aber die Beschäftigten haben in der Kohlefrage nicht nur ihren eigenen Arbeitsplatz, sondern das «große Ganze» im Blick - das Spiel von Angebot und Nachfrage und die Frage, wie die Energieversorgung der Zukunft aussehen soll.
Noch liegt die Erzeugung der für die Stahlindustrie wichtigen Kokskohle im Bergwerk Ost über dem Weltmarktpreis. «Aber so, wie es aussieht, wird unsere Kokskohle bald wettbewerbsfähig», argumentiert ein anderer Kumpel. «Warum also dann die Zeche zumachen?», fügt er hinzu. «Ohne Kohle und nur mit Atomkraft oder Windenergie geht es nicht», macht ein anderer klar. Schon in ein paar Jahren, so seine feste Überzeugung, werde sich herausstellen, dass die Aufgabe des Bergbaus ein «schwerwiegender Fehler» gewesen sei.
Die Menschen im Hamm empfinden die verlängerte Laufzeit für das Bergwerk Ost als "Galgenfrist"
Keine Freude über Aufschub
Noch ist der Parkplatz am Bergwerk Ost voll. Die Kumpel sind auch am Dienstag auf der Schicht - der Betrieb läuft, doch die Tage der Zeche im westfälischen Hamm sind gezählt. Neun Monate darf das Bergwerk nach dem Beschluss des RAG-Aufsichtsrates vom Montagabend zwar nun länger als geplant seine Kokskohle fördern. Aber Ende September 2010 soll endgültig Schluss sein. Bei den Menschen in Hamm ist die Enttäuschung groß darüber. Viele sprechen von einer "Galgenfrist".
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