Beim Streit um den Werteunterricht geht es auch um die Rolle der Kirche

Berliner Kulturkampf ums Klassenzimmer

Das Wort vom "Kulturkampf" macht in Berlin die Runde. Der im 19. Jahrhundert geprägte Begriff meint das Zurückdrängen kirchlichen Einflusses auf die Kultur. Konkret geht es um den Werteunterricht an den staatlichen Schulen der Bundeshauptstadt. Im Ausgang um einen aktuellen Parteien- und Gesellschaftsstreit sehen viele ein Signal von bundesweiter Bedeutung für die Rolle der Kirche in der Gesellschaft.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
 (DR)

SPD, Linkspartei und Grüne verteidigen ihr "Berliner Modell" eines Ethikpflichtfachs mit zusätzlichem freiwilligen Religionsunterricht. CDU und FDP fordern eine Aufwertung des konfessionellen Unterrichts zur gleichrangigen Alternative für Ethik. Eine überkonfessionelle Bürgerinitiative "Pro Reli" will dies derzeit auf dem Weg eines Volksentscheids durchsetzen.

Nach Artikel 7 des Grundgesetzes ist der Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Es muss unter staatlicher Aufsicht in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt werden.

Ausnahmen gestattet allerdings die "Bremer Klausel" nach Artikel 141. Danach können Bundesländer, in denen Religion vor 1949 kein ordentliches Unterrichtsfach war, andere Regelungen beibehalten. In Bremen gibt es seit 1947 ein staatliches Fach "Biblische Geschichte" ohne Beteiligung der Kirchen.

Religionsunterricht seit 1948
Auf diese Klausel beruft sich auch das Land Berlin. Dort gibt es Religionsunterricht seit 1948 zwar auch in staatlichen Schulräumen, dies aber in alleiniger Verantwortung der Religionsgemeinschaften.
Träger sind derzeit die beiden großen Kirchen, die Islamische Föderation, die Anatolischen Aleviten, die Jüdische Gemeinde und die Buddhistische Gesellschaft. Faktisch hat das Fach den Rang einer Arbeitsgemeinschaft, zu der sich die Schüler jedes Jahr neu anmelden. Gleiches gilt für den Lebenskundeunterricht des Humanistischen Verbandes, der aus der Freidenkerbewegung hervorgegangen ist. Derzeit nimmt mehr als jeder zweite Berliner Schüler an einem dieser Fächer teil, die Mehrzahl in der sechsjährigen Grundschule.

Den Sonderstatus des Fachs kritisieren die Kirchen seit jeher. So wird es zumeist in unattraktiven Randstunden erteilt und steht in steter Konkurrenz zum "Eiscafe". Erheblich verschärft hat sich die Lage aus Sicht der Kirchen nach Einführung des staatlichen Ethikpflichtfachs vor zwei Jahren ab Klasse 7. Sie erfolgte zeitgleich mit einer Erhöhung der Wochenstundenzahl durch die Verkürzung der Schuljahre. In den betroffenen Klassenstufen sanken die Anmeldungen zum Unterricht der Kirchen um bis zu 27 Prozent. Der Religionsunterricht fiel an vielen Oberschulen weg, wo bisher schon lediglich Kleingruppen von manchmal nur zwei Schülern zustande kamen.

Monopolanspruch des Staates
Die Kirchen sprechen von einer faktischen Verdrängung ihres Fachs von den Oberschulen und einem Monopolanspruch des Staates auf Werteorientierung. Die rot-rote Koalition hält ein nicht abwählbares Fach aber für unverzichtbar, damit die Schüler verschiedener Religionsgemeinschaften miteinander über ethische Fragen in Dialog treten. Das Kompromissangebot der Kirchen, die Schüler beider dann gleichberechtigter Fächer zu gemeinsamen Unterrichtseinheiten zusammenzuführen, überzeugte sie nicht.

Den Verteidigern von "Ethik" geht es nach eigenem Bekunden auch um eine stärkere Trennung von Staat und Kirche. Auch trage das Fach der abnehmenden Bedeutung der Kirchen in der multikulturellen Gesellschaft Rechnung. Ihre liberal-konservativen Kritiker berufen sich dagegen auf das berühmte Wort des früheren Bundesverfassungsrichters Ernst-Wolfgang Böckenförde, der freiheitliche Staat könne seine Wertegrundlagen nicht selbst garantieren. Der Staatsrechtler formulierte es nach der Erfahrung der totalitären Diktaturen. Die Aufgabe der Wertevermittlung wies er den nichtstaatlichen Akteuren zu. Der Ausgang des Berliner Wertestreits ist somit auch ein Indiz für die Überzeugungskraft dieses Arguments, das zu den Grundfesten der alten Bundesrepublik zählte.