Die Union fragt nach der Zukunft der Demokratie in der Welt

Ohne Alternative?

Wie steht es um den Siegeszug von Demokratie und Marktwirtschaft? Seit dem Fall des Ostblocks in den 90er Jahren ist er offensichtlich deutlich ins Stocken geraten. Am Donnerstag befasste sich die Arbeitsgruppe Menschenrechte der Bundestags-Unionsfraktion mit dieser Frage.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

Dazu gibt es Grund genug: Erstmals seit über zehn Jahren stellt das US-Forschungsinstitut "Freedom House" in seiner jährlichen Studie eine Stagnation, ja Rückläufigkeit der Ausbreitung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fest. Unter 193 Staaten hatten im Berichtsjahr 2007 lediglich zehn ihre Freiheitsrechte ausgebaut, 38 schränkten sie hingegen ein. Der "Bertelsmann Transformation Index 2008" beklagt eine Zunahme "heimlicher Autokratien".

Arch Puddington, Forschungsleiter von Freedom House, sieht in einigen Nationen bereits seit zehn Jahren einen Stillstand, und bei Ländern wie Russland unter Putin spricht er von drastischen Rückschritten. Die Autokratien setzten zunehmend auf "weichere" Techniken, so Puddington: Das Spektrum reicht von der gezielten Diffamierung Oppositioneller bis hin zu steuerpolitischen Repressionen. Der Wissenschaftler sieht aber auch positive Entwicklungen - ausgerechnet in einigen muslimischen Ländern, die mehr demokratische Rechte einräumten. Auch die wachsende Zahl demokratischer Aktivisten in der Zivilgesellschaft stimmt ihn zuversichtlich.

Wahlen machen noch keine Demokratie
Doch was ist jenseits von Index und Statistik überhaupt unter Demokratie zu verstehen? Für den Journalisten Peter Scholl-Latour unterliegt der Westen hier einer selektiven Wahrnehmung. Er warnt vor einem "Stimmzettelfetischismus". Anders gesagt: Wahlen machen noch keine Demokratie. Bei der für ihn typischen tour d'horizon kratzt er etwa am Lob Indiens als größter Demokratie - wegen des "entwürdigenden Kastensystems". Auch in Afrika seien Wahlen lediglich eine Entscheidung zwischen zwei Stämmen.

Als entscheidendes Kriterium müsste die Menschenwürde dienen und nicht die Menschenrechte, meint Scholl-Latour provokativ - wobei die Menschenwürde für ihn offenbar stärker die historisch-kulturelle Dimension einschließt, die er bei asiatischen Staaten stark ausgeprägt sieht. Sein Resümee: Der Westen solle sich vor Machtarroganz hüten und sich auf seinen Kulturkreis beschränken.

"Keinen Grund für einen Abgesang auf die Demokratie"
Diesem skeptischen Realismus will der Projektleiter des Bertelsmann-Index, Hauke Hartmann, nicht folgen. Er sieht "keinen Grund für einen Abgesang auf die Demokratie". Immerhin sei die Zahl demokratischer Staaten von 40 im Jahre 1974 auf heute 120 gewachsen. Allerdings stuft auch er über 50 Länder als "defekte Demokratien" ein, gekennzeichnet und gezeichnet von Korruption und fehlender Rechtsstaatlichkeit.

Ähnlich äußerte sich Jan Ross, außenpolitischer Koordinator der Wochenzeitung "Die Zeit": Die Herkunftsländer der Demokratie, an erster Stelle die USA, verlören an Einfluss, während nichtdemokratische Nationen wie China an Macht zulegten. Allerdings: Die Idee der Demokratie und der Glaube an ihre Leistungsfähigkeit sind nach seiner Überzeugung nicht auf dem Rückzug. Denn "alternative Wertesysteme zur Demokratie bilden sich nicht aus", so seine Analyse. Gefahr drohe dem Modell eher von innen. Denn, so Ross, vor allem ein demokratischer Messianismus wie bei George W. Bush und gewisse Verlogenheiten des Westens führten zu "Ressentiments" bei nichtdemokratischen Ländern.