Die Sorben wollen in Berlin für ihre Rechte demonstrieren

Zu viel Folklore, zu wenig Kultur?

Am Sonntag ist der Sandmann Sorbe. "Dzeci, lube dzeci" werden die Kinder seit 1996 im MDR begrüßt. Und zum Abschied verstreut das Sandmännchen "pesk". Mehr als 20 Stunden sendet der MDR pro Woche im Hörfunk auf sorbisch, darunter im Frühprogramm und am Montagabend die 1999 gestartete Jugendsendung "Radijo Satkula". Auch der RBB hat die Minderheiten-Sprache mit mehr als elf Stunden pro Woche im Programm. "Witajso do nas", heißt es dann im "Bramborske Serbske Radijo": "Seien Sie herzlich gegrüßt."

Autor/in:
Yvonne Jennerjahn
 (DR)

Auf rund 60.000 Menschen werden die Sorben und Wenden in der Ober- und Niederlausitz geschätzt, darunter 40.000 in Sachsen und 20.000 in Brandenburg. Doch Dietrich Scholze vom Sorbischen Institut in Bautzen hat weit pessimistischere Zahlen parat: Die beiden Sprachen Ober- und Niedersorbisch würden höchstens noch von 30.000 Menschen gesprochen, sagt der Literaturwissenschaftler und Institutsdirektor. 5.000 von ihnen leben in Brandenburg und 25.000 in Sachsen - davon rund 15.000 im sogenannten katholischen Kerngebiet zwischen Kamenz, Hoyerswerda und Bautzen. Dort sei die sorbische Sprache bis heute Alltagssprache.

In der brandenburgischen Niederlausitz und in der evangelischen Oberlausitz in Sachsen hingegen «droht die Sprache auszusterben», sagt Scholze. Seit in den 60er Jahren das Fernsehen seinen Siegeszug begann, hat sich auch die deutsche Sprache in den sorbischen Regionen ausgebreitet. Braunkohletagebau und Umsiedlungen, Arbeitslosigkeit und Abwanderung, zu wenig Lehrer und die Aufgabe der Sprache in Ehen mit einem ausschließlich deutschsprachigen Partner verstärken die Probleme.

Um die Sorben zu unterstützen, wurde in der DDR 1951 das Institut für sorbische Volksforschung gegründet und die Minderheit 1968 in der Verfassung anerkannt. Nach der Wende wurde die Stiftung für das sorbische Volk gegründet und ein Staatsvertrag zwischen den Ländern Brandenburg und Sachsen geschlossen. Die Stiftung wird zur Hälfte vom Bund finanziert, zu 33 Prozent vom Freistaat Sachsen und zu 17 Prozent von Brandenburg. Gefördert werden der Dachverband Domowina, das Sorbische Institut, zwei Museen in Bautzen und Cottbus, das Sorbische National-Ensemble und Sprachförderung in Kindergärten.

Doch um die Finanzen tobt inzwischen ein Streit. Die Vertreter der Sorben starteten mit einem Memorandum sogar einen europaweiten Hilferuf zum Erhalt ihrer Sprache und zogen sich aus dem Stiftungsrat zurück. 19,7 Millionen Euro öffentliche Mittel erhielt die Stiftung 1993, von 1998 bis 2003 waren es jeweils 16,4 Millionen, für dieses Jahr sind nur noch 15,6 Millionen Euro vorgesehen. Ein neues Finanzierungsabkommen steht aus. Der Bund bemängelt, dass zu viel Folklore und zu wenig zukunftsfähige Kultur gefördert werde und will die Zuschüsse stark reduzieren.

Als «ganz verheerendes politisches Signal» bewertet das Professor Eduard Werner vom Institut für Sorabistik der Universität Leipzig.
Bei der Fördersumme gehe es lediglich um den Etat eines mittleren Theaters, rechnet er vor. Doch es gibt auch Erfolge. Die Zahl der Kinder in zweisprachigen Kindergartenprojekten ist nach Angaben des Sorbischen Schulvereins von zwölf im Jahr 1998 auf rund 500 gestiegen. Ob damit die Sprache wirklich gestärkt oder vor allem von deutschsprachigen Eltern als «Übung fürs Gehirn» ihrer Kinder benutzt wird, könne erst in 15 bis 20 Jahren beurteilt werden, sagt Scholze.

Der Vorsitzende des Domowina-Verbandes, Jan Nuck, formuliert es so:
«Man kann uns nicht als eiermalende Kulturgruppierung abtun.» Am Donnerstag wollen die Sorben in Berlin für eine sichere Förderung demonstrieren. Der Zufall wollte es, dass just am Vortag Stanislaw Tillich zum neuen sächsischen Ministerpräsidenten gewählt wurde. Er ist der erste Sorbe in diesem Amt.