Notfallseelsorger tagen in Koblenz

Spiritualität und Trauma

Bei einem tödlichen Verkehrsunfall, einem plötzlichen Kindstod oder einem Selbstmord leisten Notfallseelsorger Erste Hilfe für die Seele. In Koblenz treffen sich zur Zeit über 320 Mitarbeiter der Notfallseelsorge aus fünf verschiedenen Ländern. Polizist Wolfgang Rothmann und der Notfallseelsorger Stefan Wagner sind zwei der Teilnehmer des elften
Bundeskongresses für Notfallseelsorge in Koblenz, die in einem Workshop für den Ernstfall trainieren.

 (DR)

"Du bist schuld, du hast Mama getötet." Die junge Frau ist außer sich vor Schmerz und Zorn. Gerade haben der Polizist Wolfgang Rothmann und der Notfallseelsorger Stefan Wagner ihr und ihrem Vater mitgeteilt, dass die Mutter und Ehefrau tot in ihrem Wagen gefunden wurde. Die Todesursache war zunächst unklar, doch die Tochter ist sich sicher: "Du mit deinen Affären! Das musste ja irgendwann mal so kommen, dass sie sich umbringt!", schreit sie ihren Vater an. Der Polizist und der Seelsorger müssen in die entstehende Rangelei eingreifen und die beiden trennen.

"Mir hat das Herz bis zum Hals geklopft", schildert Stefan Wagner im Nachhinein seine anfänglichen Gefühle bei dem Einsatz. Dabei war die Situation nur gestellt - allerdings täuschend echt. Vater und Tochter wurden von zwei Schauspielern dargestellt. Und wie im wirklichen Leben wussten Wagner und Rothmann nur wenig darüber, was sie erwartete, als sie die Todesnachricht überbrachten.

Religiösität wird als große Unterstützung empfunden
In Koblenz tagen seit dem vergangenen Montag Mitarbeiter der Notfallseelsorge aus fünf verschiedenen Ländern. Die Tagungsmitglieder setzen sich unter anderem  mit dem Thema Spiritualität und Trauma auseinander. "Wir haben in den Anfängen zunächst auf die zerstörerische Kraft eines Traumas geachtet", berichtet Joachim Müller-Lange, Gastgeber und Landespfarrer für Notfallseelsorge der Evangelischen Kirche im Rheinland. Mehrere Referenten seien jedoch der Meinung, dass ein Trauma gleichermaßen "eine Chance zur spirituellen Reifung" sei. Durch viele Gespräche mit Angehörigen sei klar geworden: Es gibt ein Leben nach dem Trauma, aber um dahin zurückzufinden, bedürfe es viel Unterstützung, betont der Landespfarrer. "Und das über einen längeren Zeitraum, nicht nur in der akuten Phase. Das müssen wir in der Notfallseelsorge ganz neu lernen", so Müller-Lange. "Dabei haben wir sehr deutlich wahrgenommen, wie stark die religiösen Elemente, die wir in die Seelsorge einbauen von den Betroffenen als hilfreiche Unterstützung empfunden werden", so der Pfarrer.  "Insofern macht uns dieser Kongress durchaus Mut, uns gerade auch unserer Religiösität im Einsatzgeschehen wieder verstärkt zu widmen."

Erste Hilfe für die Seele
Wenn Menschen durch Unglücke, Gewaltverbrechen oder Selbstmord sterben, dann ist es Aufgabe der Polizei, die schreckliche Nachricht zu überbringen. Seit 15 Jahren werden die Beamten dabei durch die Notfallseelsorge unterstützt. Bundesweit gibt es 250 meist ökumenische Notfallgruppen mit rund 3.000 Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass jederzeit ein Seelsorger abrufbereit ist.

"Der Konflikt zwischen Vater und Tochter ist eine Situation wie sie bei uns jeden Tag vorkommen kann", sagt Seminarleiter Michael Clauß von der Notfallseelsorge im evangelischen Kirchenkreis Wuppertal. Durchschnittlich würden die Notfallseelsorger pro Landkreis zweimal im Monat gebraucht. Trotz intensiver Vorbereitung auf diese Aufgabe bedeutet jeder Einsatz Stress für die Helfer.

Wie die schlimmste aller Nachrichten überbringen?
Der Polizist Wolfgang Rothmann aus Finsterwalde hat schon so manche
schreckliche Nachricht überbringen müssen. "Man muss sich auf alles einstellen", sagt er. Denn man wisse nie, wie die Angehörigen reagierten. Neben Ausbrüchen von Schmerz sei er auch schon auf komplette Gleichgültigkeit gestoßen, als er einer Frau die Nachricht vom Tod ihres Mannes überbrachte. "Ich habe auch schon einmal eine Ohrfeige von einem Mann bekommen", berichtet Michael Clauß.

Kann man sich überhaupt darauf einstellen, Menschen die schlimmste Nachricht ihres Lebens zu überbringen? Es gebe Regeln, die dabei helfen, sagt Clauß. So sei es ganz wesentlich, vorab möglichst viele Informationen über die Angehörigen zu sammeln: Wie alt sind sie? Sind Kinder da? Wie ist der Gesundheitszustand? Wenn die Nachricht zum Beispiel einem kranken Menschen überbracht werden muss, dann sei es wichtig einen Arzt im Hintergrund zu haben. "Die ersten Minuten sind entscheidend", weiß Clauß aus eigener Erfahrung. Polizei und Seelsorger sollten die schreckliche Nachricht und auch die Todesursache kurz und prägnant mitteilen. Was die
Reaktion der Angehörigen angeht, so ist dann neben Professionalität auch das Einfühlungsvermögen gefragt. Wann zum Beispiel verbirgt sich hinter äußerer Ruhe und Gelassenheit ein Schock? Braucht der Angehörige das Gespräch, oder muss er die Nachricht zunächst in Ruhe verarbeiten? Das alles müssen die Seelsorger spontan entscheiden.

Auch Seelsorger brauchen Unterstützung
Aufgabe der Notfallseelsorger ist es auch, dafür zu sorgen, dass der Angehörige nicht alleine gelassen wird. Auch nachdem der erste Schock
überwunden ist, brauchen die meisten Opfer Unterstützung. Dazu überweisen die Notfallhelfer sie zum Beispiel an weitere Stellen der Kirchenseelsorge. Mittlerweile werde immer deutlicher, dass die seelsorgerische Betreuung nicht nach vier Wochen beendet sei, wie es
früher die Regel war, sagt der Landespfarrer für Notfallseelsorge der
Evangelischen Kirche im Rheinland, Joachim Müller-Lange. Inzwischen begleiten Seelsorger die Menschen auch über längere Zeit, zum Beispiel an Jahrestagen, die an den plötzlichen Tod eines geliebten Menschen erinnern.

Rothmann und Wagner haben im Training auf ihren Fall richtig reagiert. Sie haben Vater und Tochter getrennt, sie beruhigt und die junge Frau zu ihrem Freund gebracht. Jetzt können sie die Situation mit ihren Kollegen analysieren. Eine Nachbereitung sollte es auch bei echten Einsätzen immer geben, sagt Michael Clauß. Denn auch die Seelsorger sollten mit Kollegen, Partnern oder auch einem Profi über das Erlebte sprechen, um sich zu entlasten, rät der Pfarrer. Und nicht zuletzt: "Das Überbringen einer Todesnachricht ist immer ein Grund, sich im Anschluss etwas Gutes zu tun."