Immer mehr Kriegs-Veteranen nehmen sich das Leben - die Besorgnis in den USA wächst

History repeating

Hunderttausende US-Soldaten leiden an den Folgen ihrer Einsätze im Irak und in Afghanistan. Immer mehr sehen im Selbstmord den einzigen Ausweg. Die Zahl der Suizidopfer wird wohl bald die der Gefallenen überschreiten. Geschichte wiederholt sich.

Autor/in:
Konrad Ege
 (DR)

Erinnerungen an den Krieg lassen sich nicht so schnell ablegen wie die Uniform: Etwa 300.000 der 1,7 Millionen US-amerikanischen Soldaten und Soldatinnen, die im Irak und in Afghanistan gedient haben, leiden an "unsichtbaren Wunden", sogenannten posttraumatischen Belastungsstörungen und an "schweren Depressionen", berichtete kürzlich die dem Pentagon nahe stehende Denkfabrik "Rand Corporation".

Nur etwa die Hälfte sei in ärztlicher Behandlung, hieß es. Daher werde die Zahl der Suizidopfer bei Irak- und Afghanistanveteranen möglicherweise im Laufe der Zeit die Zahl der Gefallenen überschreiten, warnte Presseberichten zufolge Thomas Insel, Direktor des "Nationalen Instituts für psychische Gesundheit". Knapp 4.600 US-Soldaten und Soldatinnen sind bisher in Afghanistan und Irak gefallen.

Als "posttraumatische Belastungsstörungen" gelten Schlafstörungen, Persönlichkeitsveränderungen, Suchtverhalten und Suizidversuche. "Er hatte diesen leblosen Blick, als er nach Hause kam", erzählte Mike Bowman aus Forreston im US-Bundesstaat Illinois. Sein 23-jähriger Sohn Tim sei vor dem Irakeinsatz ein unternehmungslustiger junger Mann gewesen. In Bagdad war er Schütze in einem Humvee-Geländefahrzeug.

"Sein Krieg ist nun vorbei, seine Dämonen sind weggegangen"
"Unsere Boys wurden unter Beschuss genommen, Sprengladungen gingen hoch, und sie mussten die Flammen an brennenden Kameraden löschen, so dass deren Eltern noch etwas zum Begraben haben", berichtete Bowman.
Im November 2005 hat Tim sich im Haus seiner Eltern erschossen. "Sein Krieg ist nun vorbei, seine Dämonen sind weggegangen".

Der US-Kongressausschuss für Veteranenangelegenheiten hat sich jetzt mit Suiziden unter Veteranen befasst. Der Ausschussvorsitzende Bob Filner übte scharfe Kritik an dem für die ärztliche Betreuung der Kriegsheimkehrer zuständigen Amt für Veteranenangelegenheiten. Man habe nicht einmal feste Zahlen über Freitode von Veteranen. Das Amt vertusche und verleugne das Problem, so die Kritik.

18 Soldaten pro Tag
So habe die Behörde im Februar 2008 behauptet, 2007 sei es unter Veteranen nur zu 790 Suizidversuchen gekommen. Nun sei aber eine widersprechende interne E-Mail bekanntgeworden, sagte Filner. Die Mail stamme von Ira Katz, dem Chef der psychiatrischen Abteilung des Veteranen-Amtes. Durchschnittlich nehmen sich danach täglich 18 Veteranen das Leben.

Die Daten beziehen sich auf Suizide aller Veteranen, also auch vom Vietnamkrieg, dem Koreakrieg und dem zweiten Weltkrieg. Bei dem Hearing erklärte der Statistiker Stephen Rathburn von der Universität von Georgia, die Suizidrate unter Veteranen sei doppelt so hoch wie die im Rest der Bevölkerung. Unter jungen Veteranen sei sie drei Mal so hoch.

Unbequeme Wahrheit
Die Schriftstellerin Penny Coleman ist Witwe eines Veteranen aus dem Vietnamkrieg, der sich das Leben genommen hat. Sie zeigte sich nicht überrascht von den Suiziden unter Irakveteranen. Tausende Soldaten aus dem Vietnamkrieg hätten sich getötet, weil sie "die Schmerzen der Erinnerungen nicht mehr aushalten konnten", so Coleman. Kriege hätten "schon immer die Herzen und die Lebenslust der Soldaten gebrochen".
Sie sei vielmehr erstaunt, dass die US-Gesellschaft diese "unbequeme Wahrheit" so schnell vergesse, schrieb Coleman auf ihrer Website www.flashbackhome.com.

Die US-Army berichtete kürzlich, dass die Zahl der Suizidversuche unter Soldaten von 350 im Jahr 2002, dem letzten Jahr vor dem Irakkrieg, auf 2.100 im Jahr 2007 angestiegen sei. Im US-Kongress wächst nun der Druck auf das Amt für Veteranenangelegenheiten mehr für die heimkehrenden Soldaten zu tun.

US-Präsident George W. Bush hatte die US-Behörde bereits Ende 2007 per Gesetz angewiesen, Angestellte besser zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen und psychischen Störungen auszubilden. Das Gesetz ist bekannt unter dem Namen "Omvig-Suizid-Verhinderungsgesetz". Der Militärpolizist Joshua Omvig hatte sich im Dezember 2005 nach elf Monaten Einsatz im Irak vor den Augen seiner Mutter erschossen.