Der Bischofskonferenz-Vorsitzende zum Stammzellgesetz - Interview im Wortlaut

"Verhängnisvoll"

Die Deutsche Bischofskonferenz hat die Bundestagsabgeordneten aufgerufen, eine Liberalisierung des Stammzellgesetzes zu verhindern. Der Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, warnte am Donnerstag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freiburg vor einer "verhängnisvollen Weichenstellung".

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, am Freitag entscheidet der Bundestag über das Stammzellgesetz. Sehen Sie noch Chancen, eine Ausweitung der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen in Deutschland zu verhindern?

Zollitsch: Ich weiß selber aus politischen Gesprächen, wie sehr die anstehende Entscheidung einzelne Abgeordnete bewegt. Und es ist ja so, dass vor Freitag noch keine Entscheidung gefallen ist. Also besteht bis dahin die Chance, eine verhängnisvolle Weichenstellung zu verhindern. Grundsätzlich gilt aber: Unsere entschiedene Mahnung, den Schutz der Menschenwürde des Embryos nicht weiter einzuschränken, richtet sich nicht nach den Chancen von Gesetzentwürfen. Es ist ein Appell an die Vernunft aller, die Liberalisierung zu verhindern.

KNA: Wichtiges Argument der Befürworter einer Stichtagsverschiebung ist die grundgesetzlich verankerte Forschungsfreiheit. Welchen Rang hat dieses Argument?

Zollitsch: Die Forschungsfreiheit ist in der Tat ein hohes Gut. Gerne verweisen ihre Verfechter auf ihre verfassungsrechtliche Verankerung. Aber sie entbindet nicht vom uneingeschränkten Respekt vor der Menschenwürde. Diese Vorgabe von Artikel 1 des Grundgesetzes ist für den Gesetzgeber nicht verfügbar. Dem ist die Forschungsfreiheit in Artikel 5 nachgeordnet. Mich irritiert, wie einseitig sich Politiker auf das Grundgesetz berufen.

KNA: Ohne weitere Möglichkeiten, so betont auch Forschungsministerin Schavan, könnten die Wissenschaftler nicht wichtige Schritte gehen, um eventuell zu ethisch unbedenklichen Möglichkeiten ohne embryonale Stammzellen zu kommen. Rechtfertigt dieses Ziel das jetzige Mittel?

Zollitsch: Dass Ministerin Schavan sich entsprechend äußert, ist klar: Ihr Haus, sie selbst baut massiv auf die Vorarbeiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Grundsätzlich gilt: Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel. Sie sagen in Ihrer Frage selbst «eventuell». Es geht um die Grundfrage, ob Politik über das Unverfügbare verfügen will, verfügen darf - über menschliches Leben.

Wenn die Debatte manch kritischen Ton bekommt, weil die Konsistenz der katholischen Position in dieser Frage zwar nicht jedem gefällt, aber vielen auffällt, gibt das zu denken.

KNA: Was sagen Sie dann Menschen, die erkrankt oder erblich vorbelastet sind und auf Forschungserfolge hoffen?

Zollitsch: Das Gleiche, was letztlich auch verantwortungsbewusste Wissenschaftler nur sagen können: Wir sollten für bessere Therapiemöglichkeiten all das tun, was ethisch möglich ist und sich im Rahmen der Verfassung bewegt. Aber die gebetsmühlenartige Verabsolutierung der Parole «Ethik des Heilens» hilft nicht weiter.

Wir dürfen Leben nicht gegen Leben abwägen. Es gab in den vergangenen Monaten immer wieder neue, zum Teil überraschende Berichte von erfolgreichen alternativen, ethisch unbedenklichen Forschungsmethoden. Das zeigt doch, wie unangebracht diese jetzige Eile ist.

KNA: Kritiker sagen, vor wenigen Jahrhunderten habe die Kirche auch noch anders über den Wert des Embryos geurteilt.

Zollitsch: Wir nehmen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sehr ernst. Gerade diese Erkenntnisse haben doch in den vergangenen Jahrzehnten bestätigt, dass der Mensch mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle seine Identität bekommt. Modelle, die dem Embryo die Menschenwürde erst zu einem späteren Zeitpunkt zuschreiben wollen, sind Willkür.

KNA: Mitunter beklagen Forschungsbefürworter, die katholische Kirche stehe mit einer restriktiven Position in einer Ecke und verweigere einen Kompromiss...

Zollitsch: Ein Kompromiss an sich ist nicht automatisch eine ethische Kategorie. Die Abgeordneten des Bundestages sind 2002 nach hartem Ringen und langen Debatten zu einer Regelung gekommen, die dann von vielen als Kompromiss anerkannt wurde. Wir haben die Stichtagsregelung bereits damals abgelehnt. Und heute will ja merkwürdigerweise kaum einer der Befürworter einer angeblich einmaligen Verschiebung des Stichtages sagen, ob dieser sogenannte Kompromiss diesmal zwei, drei, fünf oder zehn Jahre halten soll oder wann er angesichts neuer Erkenntnisse bei ethisch unbedenklichen Forschungsmöglichkeiten zurückzuholen wäre.

KNA: Machen es sich Politiker zu leicht, wenn Sie zunächst den Respekt vor der strikten Position des Embryonenschutzes betonen und dann zur eigenen Gewissensentscheidung kommen?

Zollitsch: Da will ich nicht aburteilen. Aber wir registrieren schon, mit welcher Leichtigkeit einige Politiker nach einem Chapeau vor dem Lebensschutz zur Tagesordnung übergehen. Ich habe jedenfalls hohen Respekt von einer Gewissensentscheidung, die sich beim uneingeschränkten Lebensschutz vom erkennbaren Willen einer Parteispitze absetzt.

KNA: Wie sehr hat der Kurswechsel des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland die bis dahin gemeinsame Haltung der Kirchen beim strikten Embryonenschutz geschwächt?

Zollitsch: Mittlerweile haben sich ja nicht wenige evangelische Bischöfe durchaus von der Haltung des Ratsvorsitzenden distanziert.

Trotzdem ist Bischof Huber leider zu einem Kronzeugen der Befürworter der Stichtagsverschiebung geworden. Mit diesem Vorstoß hat er dem gemeinsamen Zeugnis der Kirchen für den Lebensschutz, das angesichts der rasanten Entwicklungen in der Biopolitik so wichtig ist, keinen Dienst erwiesen. Ein Bischof ist Bischof, nicht Politiker. Und wir vertreten als katholische Kirche kein katholisches Sondergut. Der Schutz der Menschenwürde beansprucht uns alle, auch jene, die aus einem humanistischen Anspruch heraus handeln.

KNA: Nicht auf der Tagesordnung des Parlaments steht ein Vorschlag, der von Verbandsseite kam: sich vorerst auf ein Moratorium zu verständigen...

Zollitsch: Dieser Vorschlag eines Ärzteverbandes kam frühzeitig. Es fiel auf, dass niemand in der Politik darauf einging. Viele wollen offensichtlich eine forschungsliberale Entscheidung auf Kosten des Lebensschutzes, und sie wollen sie jetzt. Wir hoffen, dass sich die Abgeordneten der Tragweite ihrer Entscheidung am Freitag bewusst sind und sich möglichst viele für den Schutz des Lebens und gegen seine weitere Aushöhlung einsetzen.

Interview: Christoph Strack (KNA)