Schlammschlacht um Grundrechte-Charta - Ausweg Volksentscheid

EU-Reformvertrag in Polen auf der Kippe

In Polen artet der Streit um die Annahme des EU-Reformvertrags zur Schlammschlacht aus. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski blockiert im Parlament das Ratifizierungsgesetz der Regierung für den Lissaboner Vertrag. Sein Zwillingsbruder, Staatspräsident Lech Kaczynski, droht indirekt damit, dieses Gesetz nicht zu befolgen. Sollte es soweit kommen, werde es ein Amtsenthebungsverfahren gegen das Staatsoberhaupt geben, kündigte Parlamentspräsident Stefan Niesiolowski von der Regierungspartei PO an.

Autor/in:
Oliver Hinz
 (DR)

Beide Seiten stellen sich stur. Der rechtsliberale Ministerpräsident Donald Tusk beharrt auf dem Gesetzentwurf seiner Regierung zur Ratifizierung des Lissaboner EU-Vertrags. Die Kaczynski-Brüder verweigern die Zustimmung und verlangen, im Gesetz solle festgeschrieben werden, dass jede Änderung des Vertragswerks das Einverständnis von Staatspräsident, Ministerpräsident und beiden Parlamentskammern erfordere.

Ende des Monats soll der Sejm abstimmen. Ohne Stimmen der konservativen Kaczynski-Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) freilich kommt die zur Ratifizierung des EU-Vertrags notwendige Zweidrittel-Mehrheit hier und im Senat nicht zustande. Bereits das Nein eines einzigen EU-Landes würde das geplante Inkrafttreten der EU-Reformen zum 1. Januar 2009 verhindern.

Der Streit dreht sich um die EU-Grundrechtecharta. Für sie hatten die Kaczynski-Brüder - Jaroslaw noch in seiner Amtszeit als Regierungschef - 2007 in Brüssel eine Ausnahmeklausel durchgesetzt. Laut dieser wird der Menschenrechtskatalog nach britischem Vorbild in Polen nicht rechtsverbindlich. Tusk, sein Nachfolger als Ministerpräsident, brach zum Jahresende extra sein Wahlversprechen, die Charta-Klausel zu kippen, und akzeptierte den polnischen Sonderweg, um der Ratifizierung des EU-Vertrags den Weg zu ebnen.

Doch dieses Zugeständnis reicht nun nicht mehr. Jetzt lautet der Vorwurf, Tusk halte sich ein Hintertürchen für einen späteren Charta-Beitritt offen.

Staatpräsident Kaczynski zog in einer TV-Ansprache alle Register gegen den Menschenrechtskatalog. Er warnte davor, dass Polen durch einen Beitritt zur Grundrechte-Charta die Anerkennung von «Homo-Ehen» sowie die Rückgabe polnischen Eigentums an deutsche Vertriebene drohen würden. Als Schreckensszenario ließ er das Video der Eheschließung zweier Homosexueller einblenden - was bereits zu Protesten beim polnischen Generalkonsulat in New York führte. Das Video zeigte nämlich Medienberichten zufolge das Ja-Wort zweier US-Amerikaner 2003 im kanadischen Toronto.

Kaczynski betonte, in der Charta fehle die Definition, dass eine Ehe nur zwischen Männern und Frauen eingegangen werden dürfe. Nur die von ihm in Brüssel durchgesetzte polnische Ausnahmeklausel garantiere den Fortbestand der bisherigen «Moralordnung in unserem Land».

Kritik an der neuerlichen Blockadepolitik der Kaczynskis kommt auch von Vertretern des liberalen Flügels in der Bischofskonferenz. Der Warschauer Erzbischof Kazimierz Nycz sagte: «Es gibt Momente, wo man über Parteiinteressen stehen muss. Die Polen haben sich für den EU-Beitritt ausgesprochen, und diese Entscheidung muss respektiert werden.» Im Herbst hatte die Bischofskonferenz die Grundrechte-Charta klar abgelehnt.

Tusk will den Kaczynski-Zwillingen nicht noch ein Mal nachgeben. Als Ausweg aus der Blockade setzt er daher auf einen Volksentscheid, sollte die Ratifizierung im Parlament scheitern. Zunächst hatte er ein Referendum abgelehnt - da sowieso niemand den Vertrag lesen werde. Seine Chancen auf einen Sieg bei einer Volksentscheidung wären gut. Laut Umfragen ist eine klare Mehrheit der Polen für die Annahme des EU-Vertrags.