Auch am fünften Jahrestag tobt der Streit über die Arbeitsmarktreformen

"Agenda 2010" spaltet weiter die Republik

Die "Agenda 2010" spaltet auch an ihrem fünften Jahrestag die Republik. Führende Koalitionspolitiker lobten am Donnerstag den vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) am 14. März 2003 eingeleiteten Reformkurs. Die Arbeitgeber sprachen von einem "Meilenstein für den Wirtschaftsstandort Deutschland". Harsche Kritik am Richtungswandel in der deutschen Sozialpolitik kam dagegen einmal mehr von den Gewerkschaften und der Linken.

 (DR)

SPD-Chef Kurt Beck sagte, die "Agenda 2010" sei der "Auftakt zu einem großen wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Erfolg" gewesen. Durch die Arbeitsmarktreformen gebe es heute wieder "beachtliche Wachstumsraten und eine Million zusätzliche Arbeitsplätze" in Deutschland. Allerdings müsse die große Koalition "die eine oder andere soziale Verträglichkeit" wiederherstellen.

Becks Stellvertreter Frank-Walter Steinmeier sprach von einer "alternativlosen" Entscheidung der Regierung Schröder. "Wir mussten diese Politik machen, wissend, dass sie zu Schmerzen und Verlusten führen könnte", sagte der Außenminister, der damals Kanzleramtschef war. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) nannte es angesichts der jüngsten wirtschaftlichen Erfolge unverständlich, dass sich viele Sozialdemokraten von der Agenda abgrenzten und sich so "um die Früchte des eigenen Erfolges" brächten.

Schröder hatte den Kurswechsel der rot-grünen Koalition am 14. März 2003 mit einer aufsehenerregenden Rede vor dem Bundestag eingeleitet. Er kündigte eine Gesundheitsreform an, die kürzere Auszahlung des Arbeitslosengeldes I und die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Während die Opposition und die Wirtschaft zumindest Teile des Programms lobten, stieß Schröder bei der SPD-Linken und den Gewerkschaften auf erbitterten Widerstand.

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner bekräftigte, die "Agenda 2010" habe "mehr Armut, nicht mehr Arbeit" gebracht. Auch DGB-Chef Michael Sommer betonte, fünf Jahre nach Verkündung der Reformen seien deren "teilweise fatalen Auswirkungen" nicht mehr zu verleugnen. Millionen Arbeitnehmer hätten wegen "Hartz IV" Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Absturz. "Wenn die Befürworter der 'Agenda 2010' behaupten, jetzt würden die arbeitenden Menschen die Früchte der Agenda-Politik ernten, dann ist das weitgehend ein Märchen," kritisierte Sommer.

Linke-Fraktionschef Oskar Lafontaine betonte: "Fünf Jahre Agenda 2010 bedeuten fünf Jahre neoliberaler Holzweg, Zerstörung des sozialen Friedens und des Vertrauens der Bevölkerung in die Politik." Sein Kollege Gregor Gysi bezeichnete die Agenda als den "größten Einschnitt in der Geschichte des deutschen Sozialstaates." Die Linke fordere eine grundlegende Kurskorrektur in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte dagegen, die Reformen hätten maßgeblich dazu beigetragen, dass über eine Million neue Arbeitsplätze entstanden seien. Zu den Gewinnern gehörten vor allem Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte sowie ältere Arbeitnehmer. Die Mindestlohn-Pläne der Bundesregierung stellen diesen Erfolg allerdings in Frage.

(Quellen: Beck, Steinmeier und Kauder in der "Süddeutschen Zeitung"; Sommer, Lafontaine, Gysi und Hundt in Erklärungen; Schreiner im ZDF)