Reportage: Wie Gemeindecaritas das Nachbarschaftsleben bereichern kann

Pfarrsäle zu Essenstafeln

Vor zehn Jahren fällte der Essener Pfarrer Pater Christoph Höttges eine Entscheidung. Im Gemeindebezirk Heilig Kreuz, im Essener Südostviertel, zogen libanesische Familien in ein Doppelhaus. Und deren insgesamt 90 Kinder wirbelten die Nachbarschaft auf. All das hätte der Franziskaner registrieren, aber beim klassischen Gemeindegeschäft bleiben können. Doch der Seelsorger ging zur städtischen Bürgerversammlung. Tagesordnung: Der Umgang mit den Libanesen. Er fand: Wir Christen sind Teil der Lösung.

Autor/in:
Klaus Nelißen
 (DR)

«Wir haben viel Gemeinsames mit den Libanesen entdeckt, besonders die Vorliebe für leckere Mahlzeiten», beschreibt der Geistliche schmunzelnd den Prozess, der sich daraus entwickelte. Gemeindemitglieder und Lokalpolitiker starteten eine Integrations-Initiative. Schließlich ist die Gegend um den Kirchturm von Heilig Kreuz ein Schmelztiegel. Im Pfarr-Kindergarten spielen 70 Kinder aus 18 Nationen.

Aus einem Anlaufpunkt auf dem Wochenmarkt, dem «Marktkaffee», ging bald ein Bürgerladen hervor. Alteingesessene boten Migranten Hilfen aller Art, beispielsweise beim Ausfüllen von Formularen. Bald zog die «Essener Tafel» mit ihrer Nahrungshilfe für Arme in den gut laufenden Bürgerladen. Als dort der Platz knapp wurde, öffneten die Katholiken, angespornt von der Caritas, das Pfarrheim für die Armenspeisung. «Mit welchem Recht verwalten wir leerstehende Räume?», fragt Pfarrer Höttges.

Die Initiative im Essener Südosten ist eine von vielen Beispielen gelingender Gemeindecaritas, in der Christen auf Probleme in ihrer Nachbarschaft reagieren. Eine jetzt vorgestellte Studie des Deutschen Caritasverbands (DCV) und der Deutschen Bischofskonferenz macht deutlich: Kirchengemeinden können durch solch soziales Engagement enorm an Profil gewinnen und neue ehrenamtliche Kräfte aktivieren.

Wissenschaftler um den Münsteraner Pastoraltheologen Udo Schmälzle erfassten bundesweit 350, wie es im Fachtjargon heißt, «lebensraumorientierte Diakonieprojekte» von katholischen Kirchengemeinden. 22 davon schauten sie sich genauer an. Ergebnis: Alle untersuchten Projekte erzielten trotz bescheidenen finanziellen Aufwands verblüffende Reichweiten. Die Angst vieler Hauptamtlicher, dass mehr Caritas-Engagement Ehrenamtliche vom klassischen Kerngeschäft abziehe, sei unbegründet, meint Schmälzle. Im Gegenteil:
Karitative Projekte könnten jene binden, die sich vom klassischen Gemeindeangebot nicht angezogen fühlten.

Egal ob in der Kinder-, Jugend- oder Integrationsarbeit: «Hier aktivieren engagierte Christen die traditionellen Ressourcen nachbarschaftlichen Engagements», so Schmälzle. Gerade einfache Nachbarschaftshilfe sei besonders bei Alten und Pflegebedürftigen wichtig und öffne Türen. Und da der klassische Sozialstaat wegbreche, sieht der Theologe solches Engagement immer stärker gefordert. Gemeinden könnten eine soziale Vorreiterrolle übernehmen.

So wie die Pfarrei Sankt Johannes Baptist im hessischen Bad Arolsen. Dort starteten Katholiken unter dem Leitwort «Familien helfen Familien» eine ganzen Reihe von Initiativen für ihr Stadtviertel. Sprachcamps für Migranten, geleitet von Pädagogen und Jugendlichen, sind vielleicht das schillerndste Beispiel. Aber auch die Babysittervermittlung könne eine Menge bewegen, erläutert Andrea Pilapl. Sie erzählt von einer alleinerziehenden Mutter, die täglich bis 17 Uhr arbeiten müsse. Jugendliche holten deswegen ihr Kind von der Schule ab und spielten mit ihm, so Pilapl. «Die Frau müsste sonst von Hartz IV leben.» Die Caritas finanziert tausend Babysitterstunden, damit 40 Jugendliche auch bei sozial schwachen Familien zum Einsatz kommen.

Für Caritas-Präsident Peter Neher sind Gemeinden wie die in Essen und Bad Arolsen gelungene Beispiele für die Zusammenarbeit. Mit der «lebensweltorientierten Diakonie» wolle die Caritas künftig solche Kooperationen stärken.