Mit Bewährungsstrafen und Freisprüchen geht der Prozess um Rekrutenmisshandlungen zu Ende

Truppenübung mit fatalen Folgen

Im Prozess um Rekrutenmisshandlungen verhängte die 8. Strafkammer des Landgerichts Münster am Mittwoch gegen fünf Ex-Ausbilder der Bundeswehr Bewährungsstrafen. Sie sind damit vorbestraft, müssen aber nicht in Haft. Vier weitere Angeklagte werden freigesprochen. Der frühere Kompaniechef erhält eine Geldstrafe über 7500 Euro. Die Spannung ist den zehn Angeklagten in ihren Gesichtern anzusehen, als der Richter den Saal betritt und die Urteile verkündet.

Autor/in:
Frank Bretschneider
 (DR)

Mit den letzten Urteilen des ursprünglich 18 Angeklagte umfassenden Verfahrens findet der bislang größte Strafprozess um Rekrutenmisshandlungen in der Geschichte der Bundeswehr nach rund einem Jahr sein Ende. Die vom Vorsitzenden Richter Thomas Mattonet gewählte Umschreibung "komplexer Sachverhalt" mag da ein wenig untertrieben klingen. Denn von den Vorfällen, die sich im Sommer 2004 ereignet haben, waren nach Feststellung des Gerichts mehr als 160 Rekruten der Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld betroffen. Sie wurden bei simulierten Geiselnahmen misshandelt.

Die vom Gericht im Rahmen der Urteilsbegründung erneut geschilderten Vorfälle lösen bei den Zuhörern immer wieder Befremden aus. Denn die simulierten Geiselnahmen wurden von den beiden Zugführern, die als sehr erfahrende Ausbilder galten, auf eigene Faust angeordnet. Sie bekamen deshalb wegen gefährlicher Körperverletzung und entwürdigender Behandlung von Untergebenen auch die mit einem Jahr und zehn Monaten höchsten Bewährungsstrafen.

Richter Mattonet spricht von einer "verhängnisvollen Idee", an der sich auch der Kompaniechef beteiligt habe - offenbar in der Annahme, dass die Geiselnahme-Übung mit Blick auf zunehmende Auslandseinsätze der Bundeswehr ohnehin bald zum Standardprogramm der Grundausbildung gehören könnte. Der Offizier habe daher den "fatalen Entschluss" gefasst, die Übungen anzuordnen, obwohl es dazu von oberster Stelle keinerlei Anweisung gegeben habe.

Im Kern ging es bei den Übungen immer wieder darum, dass die nach einem langen Marsch ohnehin erschöpfte Rekruten von einem "feindlichen" Kommando "überfallen" und "verschleppt" wurden. Mit Kabelbindern gefesselt und mit verbundenen Augen sollten sie lernen, dem psychischen Druck einer Geiselhaft standzuhalten und ihren "Peinigern" nicht die Namen ihrer Vorgesetzten zu nennen. Dabei habe der Kompaniechef aber gegenüber den Ausbildern stets darauf bestanden, dass niemand verletzt werden sollte, sagt der Richter.

In der Praxis sah das jedoch anders aus. Zwar war für Rekruten, die die richtige Antwort gaben, die Übung vorbei. Den anderen aber, so stellte das Gericht weiter fest, wurde bei Verweigerung der Antwort in Einzelfällen mit "Erschießung" gedroht oder sie wurden mit Stromschlägen, Wassereinläufen in Mund und Nase sowie auch mit Fußtritten malträtiert. Vereinzelt wurden die Misshandlungen von den Ausbildern fotografiert. Als besonders entwürdigend nennt der Richter eine "Großwildjägerpose", mit der sich einer der Ausbilder mit einem Stiefel auf dem Körper eines Rekruten ablichten ließ.

Der Richter nimmt in seinen Ausführungen aber zugleich eine scharfe Abgrenzung vor. Die 7. Kompanie, bei der sich die Vorfälle zutrugen, sei "keine Folterkompanie", betont Mattonet. Die "überwiegende Mehrheit" der Rekruten habe sich in ihrer Grundausbildung in Coesfeld fair behandelt gefühlt. "Sie waren überwiegend der Meinung, etwas gelernt zu haben." Viele Rekruten hätten in der Zeugenvernehmung die Übung zudem als "Highlight" ihrer Ausbildung bezeichnet.


Aufarbeitung noch nicht beendet
Die Aufarbeitung der Rekrutenmisshandlung ist aus Sicht des Bundeswehrverbandes damit noch nicht beendet. Die Urteile vom Mittwoch seien der «Startschuss» für die «disziplinare Aufarbeitung», sagte Verbandschef Bernhard Gertz. In diesem Disziplinarverfahren werde untersucht, «ob Vorgesetzte gegen ihre Pflichten verstoßen haben, indem sie zum Beispiel den Respekt vor der Würde des Menschen haben vermissen lassen».

Die Links-Fraktion im Bundestag begrüßte das Münsteraner Urteil. Verteidigungsexperte Paul Schäfer forderte zugleich «strukturelle Konsequenzen» bei der Bundeswehr. Der Prozess habe einen «höchst bedenklichen Mangel an Sensibilität für Menschenrechte und Menschenwürde in der Truppe offengelegt». Die Bundeswehr müsse «nach menschen- und völkerrechtlichen Grundsätzen» ausgerichtet werden.

Der Grünen-Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei forderte die Bundesregierung auf, «zügig Rechenschaft darüber abzulegen, welche Konsequenzen sie aus dem Skandal gezogen hat und darüber hinaus für notwendig hält». Ziel müsse die «Achtung der Menschenwürde» sein.