Der Apostolische Nuntius zur Lage der Kirche in Deutschland - Interview im Wortlaut

«Ein Sturm im Wasserglas»

Der Botschafter des Papstes in Deutschland, Erzbischof Jean Claude Perisset, hat die Diskussionen um die Zölibats-Äußerungen von Erzbischof Robert Zollitsch als «Sturm im Wasserglas» bewertet. Was der Vorsitzende der Bischofskonferenz gesagt habe, sei keine Sensation, sagte der Apostolische Nuntius am Freitag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Wie Zollitsch sehe er die Evangelisierung als wichtigste Herausforderung der Kirche. Perisset ist an Ostern seit 100 Tagen als Nuntius in Deutschland akkreditiert.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, Ihre ersten Wochen in Deutschland waren
erlebnisreich: gleich drei neue Bischöfe, überraschend auch ein neuer Vorsitzender der Bischofskonferenz. Hatten Sie schon Gelegenheit, mit Erzbischof Zollitsch zu sprechen?

Perisset: Ja. Er hat mich in dieser Woche besucht. Wir konnten uns austauschen darüber, was für die Kirche in Deutschland die wichtigsten Themen sind.

KNA: Ging es auch um das Thema Zölibat und um das Interview des Vorsitzenden, das so viel Aufsehen ausgelöst hat?

Perisset: Nur am Rande. Diese Aufregung war doch ein Sturm im Wasserglas. Lesen Sie den Wortlaut des Interviews! Was Erzbischof Zollitsch gesagt hat, war doch keine Sensation und wurde auch von Bischöfen immer wieder vertreten. Offenbar haben sich viele auf eine verkürzte Zuspitzung dieses Interviews gestürzt und sich dann damit zufrieden gegeben. Ich habe volles Vertrauen in den Erzbischof, er ist ein Mann mit großer pastoraler Erfahrung.

KNA: Wo sehen Sie die wichtigste Aufgabe der Kirche?

Perisset: Auch da bin ich mir mit Erzbischof Zollitsch einig: Die Mission der Kirche, die Evangelisierung. Schauen Sie auf diese Gesellschaft mit den sinkenden Zahlen an Gläubigen, an Taufen, an Berufungen. Das bedeutet für uns eine Herausforderung. Wir müssen wie ein Sauerteig in der Welt wirken, müssen wie ein Sämann den Samen des Evangeliums auf den Boden der Gesellschaft werfen. Und nach Wegen suchen, diesen Boden zu bearbeiten.

KNA: Warum geht die Zahl der Gläubigen zurück?

Perisset: Das liegt ja nicht primär an mangelnden Mitteln der Evangelisierung. Heute zeigt sich zum einen ein aktiver gewordener Laizismus, zum anderen ein verbreiteter Konsumismus, der die Säkularisierung befördert und das Leben immer hektischer macht.
Vielleicht müssen wir uns dem noch stärker stellen.

KNA: Was heißt das etwas konkreter?

Perisset: Ich will gar keine pauschale Medienschelte betreiben. Aber in fast jedem Haus stehen ein oder mehrere Fernsehgeräte, ja sogar in jedem Zimmer. Die Menschen kapseln sich regelrecht ab, man geht eben nicht mehr nach außen, man sucht nicht mehr den Kontakt mit anderen, die lebendige Gemeinschaft. Durch das Fernsehen wähnt man sich mit der ganzen Welt verbunden und ist gerade dadurch doch oft völlig isoliert. Und als ob es nicht reicht, sollen die Leute auch immer öfter sonntags einkaufen und konsumieren. Kann das denn alles sein?

Dieser Konsumismus stellt für mich heute die größte Gefahr der Gesellschaft dar. Und er stellt der Kirche die Frage, was sie in der heutigen Welt macht, um die geistigen Werte zur Geltung zu bringen. Die Kirche muss sich dem stärker widmen und schauen, wie wir zu den Leuten kommen können.

KNA: Herr Erzbischof, gelegentlich heißt es, in der Deutschen Bischofskonferenz gebe es zu viele Meinungsverschiedenheiten. Was kann der Nuntius tun, wenn es verschiedene Richtungen gibt?

Perisset: Aber das passiert hier in Deutschland doch nicht! Nehmen Sie - weil es da um ein zentrales Thema geht - das Beispiel der Bewertung der Stammzellforschung. Alle Bischöfe haben in dieser Kernfrage die gleiche Haltung. Das zeigt die Einheit der Kirche.

KNA: Bei anderen Themen scheint es aber gelegentlich Kontroversen zu geben.

Perisset: Sicher, hier oder da gibt es mal Debatten oder Schwierigkeiten. Aber bei wesentlichen Fragen ist die Kirche in Deutschland einig. Kirche ist jedoch communio, das heißt sie ist Gemeinschaft, sie ist gemeinsam auf dem Weg. Gemeinschaft heißt eben nicht Uniformität. Und man kann Einheit weder erzwingen noch verordnen, das wäre ja nur eine Zwangslage.

KNA: Wie bewerten Sie dann interne Kontroversen?

Perisset: Der Nuntius sollte gelten lassen, was alles zur Einheit führt. Dabei gibt es Stufen und Entwicklungen, und gelegentlich gilt auch «Das Bessere ist der Feind des Guten». Das war übrigens auch die Erfahrung des Zweiten Vatikanischen Konzils.

KNA: Was heißt in diesem Zusammenhang für Sie «konservativ»? Häufig ist von konservativen und liberalen Bischöfen die Rede.

Perisset: Solche Bewertungen gebrauche ich nie. Die Kirche ist nicht wie der Staat, wo sich solche Tendenzen entgegenstehen. In der Kirche geht es um die Gemeinschaft unterwegs, um Dialog und gemeinsame Reflexion.

KNA: Papst Benedikt XVI. war bereits zwei Mal in Deutschland, aber noch nicht in Berlin oder Ostdeutschland.

Perisset: Ja, aber er wird kommen. Er ist ja kaum drei Jahre Papst, hat Prioritäten und viele Verpflichtungen. Im Herbst 2009 jährt sich der Fall der Mauer zum 20. Mal. Das wäre ein gutes Datum. Der Papst ist nach meinem Eindruck dazu bereit, aber entschieden ist noch nichts.

KNA: Wie ist Ihr Verhältnis zur evangelischen Kirche?

Perisset: Bischof Huber habe ich noch nicht kennengelernt, da kam eine Grippe dazwischen. Ich weiß um den Rang der evangelischen Kirche in Deutschland, lerne aber auch noch dazu. Denn in meiner Schweizer Heimat hat der Protestantismus ein anderes, calvinistisch geprägtes Gesicht. Ich hoffe, dass das Jubiläum der Reformation 2017 uns helfen wird, einander weiter kennenzulernen. Und wir können vom anderen auch viel lernen.

KNA: Ist auch das etwas besonderes: Nuntius zu sein im Lande Luthers?

Perisset: Ich muss mich mit seiner Biografie noch weiter beschäftigen. Im Großen und Ganzen glaube ich: Eine Reform war damals nötig, aber die Sache dieses Augustinermönches ist durch die regierenden Fürsten allzu rasch politisiert worden. Es war in jener Zeit sicher nötig, die Kirche zu erneuern. Da komme ich zurück zu dem, was ich anfangs sagte: Die Kirche muss stets das konkrete gesellschaftliche Leben betrachten, und sie muss als Gemeinschaft auf dem Weg sein.

Interview: Ludwig Ring-Eifel und Christoph Strack (KNA)