Generalsekretär Voß zu 60 Jahre deutsche Pax-Christi-Sektion

«Wir wollen Grenzüberschreiter sein»

Die deutsche Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi wird am 3. April 60 Jahre alt. Dazu äußerte sich Pax Christi-Generalsekretär Reinhard Voß am Mittwoch in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bad Vilbel. Die Organisation begeht das Jubiläum am Gründungstag mit einer Gedenkfeier am Gründungsort Kevelaer und vom 4. bis 6. April mit einem Kongress in Berlin.

 (DR)

KNA: Herr Voß, 60 Jahre deutsche Pax-Christi-Sektion. Was gibt es da zu feiern?

Voß: Ginge es darum, dass Pax Christi sich selbst feiert, dann bestünde in der Tat Berechtigung, so zu fragen. Darum geht es aber nicht! Vielmehr gilt es, daran zu erinnern, dass sich vor 60 Jahren eine wirkliche Wende vollzogen hat, eine Wende, für die die französischen Katholiken und ihre Bischöfe den Anstoß gaben, woran wir uns dankbar erinnern. Damals wurde die ewige Spirale von Vergeltung und Gegenvergeltung zwischen den «Erbfeinden» abgelöst von einer der Vergebung und Versöhnung. Katholische Christen aus Frankreich lehrten uns, was «Feindesliebe» heißt und wie sie durch «Gebet, Studium und Aktion» wachsen kann. Daraus wurde eine grenzüberschreitende und internationale Bewegung.
Pax-Christi-Mitglieder wagten sich 1964 nach Auschwitz, später nach Israel und in die Sowjetunion und wurden damals oder später von ihrer Kirche als Pioniere geschätzt. Für uns ist Erinnern und Feiern nach 60 Jahren mehr als ein Rückblick. Es ist Ansporn und Ermutigung zur Friedensarbeit.

KNA: Die Resonanz, die Pax Christi in Politik und Kirche findet, ist seit geraumer Zeit offenbar nicht umwerfend. Woran liegt es? Soll da auch der zum 1. Oktober vorgesehene Umzug des Pax-Christi-Sekretariats von Bad Vilbel nach Berlin für Abhilfe sorgen?

Voß: Wir sind öffentlich durchaus stark wahrgenommen worden in unserem Protest gegen den Irak- und den Afghanistankrieg. Aber ansonsten war die ganz konkrete Basisarbeit vor Ort pressewirksamer - und weniger große Erklärungen. Wir gehören zu den Gründern von attac, werden aber als solche nicht identifiziert, was gar nicht schlimm ist. Ebenso ergeht es unserer Mitgliedschaft in vielen Kampagnen und Bündnissen, etwa gegen Landminen und Streubomben, Atomwaffen oder Asyleinschränkung. Die öffentliche Wirkung unserer Arbeit war in früheren Jahrzehnten immer dann besonders groß, wenn Grenzen geografischer oder ideologischer Art überschritten wurden oder wenn es um interne Konflikte oder um solche mit der Kirche ging. Letztere haben wir in den letzten Jahren weniger erlebt. Unter der Präsidentschaft des Fuldaer Bischofs Algermissen ist Pax Christi noch selbstverständlicher als zuvor eine ernst genommene Stimme in unserer Kirche geworden, auch wenn unsere Mitgliederzahl unter 5.000 liegt.

Wenn wir vermeintliche «Grenzen» überschreiten, etwa mit unserem vehementen Protest gegen den heraufziehenden Irakkrieg oder mit unserem Einsatz sowohl für das Lebensrecht Israels als auch für das Recht der Palästinenser auf Lebensraum, Entwicklung und Staatlichkeit, dann werden wir oft totgeschwiegen. Ich unterscheide zwischen der gewachsenen Resonanz in Kirche und Gesellschaft und der oft defizitären Resonanz in der Presse. Wenn wir demnächst mit unserem kleinen Sekretariat aus Bad Vilbel, also vom Stadtrand von Frankfurt, nach Berlin-Mitte umziehen, soll dies verdeutlichen, dass wir der politischen Anwaltschaft für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfung noch mehr Bedeutung auf Bundesebene beimessen wollen.

KNA: Pax Christi vertritt eine Position der Gewaltfreiheit. Ohne Wenn und Aber?

Voß: Ja. Gewaltfreiheit als Glaubensüberzeugung, als politische Ethik und Vision trägt unsere Bewegung. Die gemachten Erfahrungen der Versöhnung über angeblich undurchdringliche Grenzen hinweg halfen uns, diese Grundüberzeugung weiterzuentwickeln. Das Bischofswort «Gerechter Friede» von 2000 hat dies als theologische und Kirchenlinie bekräftigt. In den 1990er Jahren ging es im sogenannten Pazifismusstreit darum, ob und unter welchen Kriterien Militär zur Rettung bedrohter Bevölkerungen eingesetzt werden dürfe. Wir sind skeptisch geblieben, was solche Einsätze angeht, aber wir suchen das Gespräch mit den Soldaten und haben dies intensiv in den letzten Jahren auch mit der Gemeinschaft Katholischer Soldaten diskutiert.
Die Entwicklung in Afghanistan zeigt uns gerade wieder einmal, wie schnell Schutz und Aufbau umschlagen können in Kampf und Krieg.

Deshalb wenden wir uns eindeutig gegen die Militarisierung von Außenpolitik und engagieren uns beim Aufbau von Friedenszentren in Krisengebieten und beim Aufbau des Zivilen Friedensdienstes.

KNA: Was vor allem möchte die katholische Friedensbewegung in diesen Zeiten bewegen?

Voß: Wir bleiben eine Bewegung im weltweiten ökumenischen Rahmen für Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung. Spezifisch für Pax Christi aber ist darüber hinaus: Wir wollen weiter Grenzüberschreiter sein, und dabei hilft uns unsere Internationalität. Es braucht - so das Motto des Studientages bei unserem bevorstehenden Jubiläumskongress in Berlin - «Dialog statt Krieg gegen den Terror», es braucht Verständigung, Training gewaltfreier Kommunikation, zivile Austragsformen von Konflikten. Nur so kommen wir dem Frieden, dem Weltfrieden, wirklich näher.

Interview: Peter de Groot (KNA)