Jubiläum: 60 Jahre Augsburger Puppenkiste

Wo Kasperle ans Telefon geht

Wer die Telefonnummer der "Augsburger Puppenkiste" wählt, dem kann es passieren, dass er den "Kasperle" am Apparat hat. Der beschwert sich dann in breitem Augsburgerisch, dass außer ihm keiner da sei, dass ihm der Bleistift grad abgebrochen sei und merken könne er sich in seinem Holzkopf sowieso nichts, also solle man später noch mal anrufen. 60 Jahre ist der Kasperle nun alt und noch immer die Galionsfigur des bekanntesten deutschen Marionettentheaters.

 (DR)

Am 26. Februar 1948 war es, da öffnete Walter Oehmichen den Deckel der "Augsburger Puppenkiste". Auf den Tag genau vier Jahre zuvor 1944 hatten Bomben, die auf Augsburg fielen, den Puppenschrein, das erste Theater Oehmichens zerstört. Der Oberspielleiter am Augsburger Theater und seine Frau Rose, beide gelernte Schauspieler, bauten aber gleich nach dem Krieg mit viel Organisationsgeschick, Beziehungen und Improvisationsgabe im zerstörten Heilig-Geist-Spital ihr neues Puppentheater auf.

Der Kasperle und sein "Ziehvater" eröffneten damals das erste Spektakel in der "Puppenkiste". Die Zuschauer konnten für die Premiere mit einer Zigarette zehn Sitzplätze kaufen. Im ausverkauften Haus verkündete eine Stimme aus dem Dunkeln: "Ich will das Kind ins Märchenland entführen". Und dann: "Der Erwachsne, der dem Spiele lauscht, ihn führ' ich in das Kinderland zurück" - die ersten Sätze auf der Bühne der Puppenkiste waren das Credo des Theatergründers. Dann durfte "Der gestiefelte Kater" auftreten.

Vom ersten Tag an fester Bestandteil der Fernsehunterhaltung
Ihm folgten Dutzende Märchengestalten, die in den Nachkriegszeiten den Augsburgern die ersehnte Abwechslung boten. Pro Saison gab es in den Anfangsjahren etwa sechs bis acht Neuinszenierungen, für die Tochter Hannelore die meisten Puppen schnitzte. Diese originellen Marionetten entdeckte 1952 der Leiter des Senders NWDR, Hanns Fahrenburg, für das Fernsehen, das im Dezember des gleichen Jahres den regelmäßigen Sendebetrieb aufnehmen wollte. Die "Augsburger Puppenkiste" war also vom ersten Tag an fester Bestandteil der deutschen Fernsehunterhaltung - ihr Aufstieg begann.

Bis in das Jahr 1994 gab es jährlich zwei bis drei TV-Produktionen. 90 Prozent aller Deutschen, ergab eine Umfrage, kennen das Augsburger Marionettentheater. "Und für 95 Prozent aller Befragten ist der Begriff positiv besetzt", freut sich Klaus Marschall, der heutige Leiter der Augsburger Puppenkiste und Enkel von Walter Oehmichen.

Großen Anteil am Erfolg der Holzköpfe hätten aber immer die Geschichten gehabt, so Marschall. Michael Ende, damals noch nicht bekannt, lieferte 1961 die Vorlage für "Jim Knopf und der Lokomotivführer". Als die beiden Helden Lummerland mit der Lokomotive Emma verließen, saßen bereits Millionen Zuschauer vor den Apparaten. Der fliegende Löwe, der "Kleine König Kalle Wirsch", das "Sams", der "Schlupp vom Grünen Stern" und viele Storys mehr sind alle Erfolge geworden, ob als Fernsehserie, als Buch und heute wieder als DVD.

"Die Geschichten bieten Raum für Fantasie"
"Urmel", "Lord Schmetterhemd" und "Kater Mikesch" stehen auch bei Kindern im 21. Jahrhundert ganz oben auf der Beliebtheitsskala. "Die Geschichten bieten Raum für Fantasie", erklärt Marschall die Faszination, die vom Spiel der Augsburger Puppen ausgeht. Dass heute die "Puppenkiste" nur noch selten im Fernsehen zu sehen ist und Neuproduktionen den Sendern zu teuer sind, bedauert er. Denn das Marionettentheater könne ein Stück "Kultur für Kinder" bieten - inmitten der Welt der Trickfilme.

Über 3,5 Millionen Zuschauer haben in den vergangenen 60 Jahren dieses "Stück Kultur" live erlebt. Ungefähr 18.000 Mal haben sich ganz gemächlich die Deckel der Kiste geöffnet. Seit dem Jahr 2001 gibt es das Puppenspielmuseum "Die Kiste" und das Theater ist auch neu. Selten bleibt ein Stuhl im Zuschauerraum leer.

Wenn er sich den großen Erfolg des Theaters vor Augen führt, denkt Marschall oft an seinen Großvater, der 1977 starb. "Schade, dass er nicht mehr diesen Riesenerfolg erlebt hat", meint er, "auch wenn der den Trubel sicher nicht gemocht hätte." Wenn schwierige Unternehmensentscheidungen anstehen, fragt sich der Enkel immer, was der "Puppenvater" getan hätte. "Und ich frag immer den Kasperle um Rat, auch wenn das verrückt klingt, aber der ist ja schließlich schon 60 Jahre dabei."

Von Jutta Olschewski (epd)