Sie selbst stelle keine Fragen, sondern warte, bis die Gefangenen von sich aus erzählten - manchmal sehr lange. "Der erste Gefangene, den ich betreut habe, hat wochenlang nur geschwiegen", erinnert sie sich. Doch sie gab nicht auf und kam immer wieder - bis er schließlich begann, von sich und seiner Vergangenheit zu erzählen, von dem trinkenden und prügelnden Vater, der strengen Mutter und wie er schließlich auf die schiefe Bahn geriet.
Es sei nicht immer einfach, die traurigen Geschichten zu ertragen, sagt Kiefer. "Wenn man in einer heilen Welt lebt, kann man sich gar nicht vorstellen, welches Leid ein Mensch erleben kann." Kiefer ist daher froh, wenn sie mit anderen über das Erlebte reden kann. "Es ist ganz wichtig für mich, dass ich mich mit anderen Ehrenamtlichen treffe und wir uns austauschen", sagt sie.
Zu wenig Helfer in NRW's Gefängnissen
Nach Angaben des Justizministeriums sind derzeit rund 2000 Ehrenamtliche in den nordrhein-westfälischen Gefängnissen tätig. Eindeutig zu wenig, findet Kiefer. "Alle Haftanstalten suchen nach Verstärkung." Allein sie betreut derzeit vier Gefangene in Bochum und Remscheid. Dazu kommt eine Fünfergruppe in Bochum, für die sie gemeinsam mit einer Kollegin zuständig ist. Zu ihren Aufgaben gehört es nicht nur, die Gefangenen zu besuchen.
Meist dreimal im Jahr schickt sie ihren Schützlingen zudem Pakete in
den Knast. "Manche haben sehr genaue Vorstellungen, was sie haben
möchten", sagt Kiefer und lacht. "Dann erhalte ich Anweisungen,
welche Tabaksorte ich kaufen soll und dass ich einen 'schmackhaften
Käse' ins Paket legen soll."
Mittlerweile hat auch ihr Mann Verständnis für ihre ehrenamtliche Tätigkeit, doch das war nicht immer so. "Am Anfang war er gar nicht damit einverstanden, dass ich mich mit Häftlingen treffe. Er sagte immer 'Gib denen ja nicht Deine Adresse'", erzählt Kiefer und schüttelt den Kopf.
Inzwischen kann Kiefer ihre Schützlinge zu sich nach Hause einladen, wenn sie Ausgang haben. "Einer verbrachte sogar seine Weihnachtsferien bei uns", erinnert sich die Wuppertalerin und schiebt schmunzelnd hinterher: "Mit dem ausdrücklichen Einverständnis meines Mannes."
"Sie liegen mir wirklich am Herzen"
Mulmig ist Kiefer nicht zumute, wenn sie mit den Gefangenen zusammensitzt, obwohl einige von ihnen einen Menschen getötet haben. "Ich würde mich wesentlich mehr fürchten, wenn ich abends allein durch Wuppertal laufen müsste", sagt die 72-Jährige. Auch gelegentliche Besuche der Gefangenen in Kiefers Wohnung schrecken sie nicht - im Gegenteil. "Ich freue mich immer darauf, wenn die Häftlinge zum Frühstücken zu mir kommen", sagt Kiefer.
Zu den meisten ihrer Schützlinge habe sie ein mütterliches und freundschaftliches Verhältnis, beschreibt die Wuppertalerin und fügt hinzu: "Sie liegen mir wirklich am Herzen". Doch auch umgekehrt kann sie sich auf "ihre Männer" verlassen. So kamen die ersten Anrufe im vergangenen Jahr, als sie im Krankenhaus lag, aus dem Gefängnis. Und auch nach der Haftentlassung halten viele der Männer den Kontakt zu ihr. "Ich bekomme Briefe, Fotos und Anrufe", freut sich Kiefer. "Manche von ihnen vergessen meinen Geburtstag nie."
Erst ein einziges Mal, erinnert sich die Wuppertalerin, habe sie es abgelehnt, einen Häftling zu unterstützen. "Er stellte sich als ein guter Mensch dar und gab vor, anstelle seiner Freundin im Gefängnis zu sitzen, um sie zu schützen." Daraufhin habe sie sich seine Akten besorgt und festgestellt, dass sie von dem Mann belogen wurde. Die Besuche bei ihm brach sie daraufhin ab - obwohl sie eigentlich allen Gefangenen helfen wolle. "Aber verarschen lasse ich mich nicht", sagt Kiefer.
Reportage: Christl Kiefer begleitet seit fast 20 Jahren Häftlinge in nordrhein-westfälischen Gefängnissen
Ehrenamtlich hinter Gittern
Wie oft sie schon im Knast war, weiß Christl Kiefer nicht. Jedenfalls ist die Liste der Gefängnisse, in denen sie schon gesessen hat, lang - obwohl sie niemals straffällig wurde. Seit fast 20 Jahren begleitet die heute 72-Jährige ehrenamtlich Strafgefangene in NRW. "Das Wichtigste ist, dass man zuhören kann", sagt Kiefer.
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