Eingliederungserfolge sind kaum messbar - Kirchen machen sie vor

Integration, Assimilation und Ausgrenzung

Die umstrittene Rede des türkischen Regierungschefs Tayyip Erdogan in Köln, bei der er sich vehement gegen eine Assimilation seiner Landsleute in Deutschland aussprach, hat die Diskussion über den Stand der Integration der Türken angeheizt. Im Bundestag wird es dazu in den nächsten Woche eine Debatte geben. Inwieweit die gesellschaftliche Eingliederung der türkischen Zuwanderer gelungen ist, ist trotz etlicher Untersuchungen, die dazu gemacht worden sind, kaum zu bestimmen. Die Kirchen legen besonderen Wert auf Integration.

 (DR)

Die rund 2,6 Millionen Türken, die in erster, zweiter und dritter Generation in Deutschland leben, sind eine sehr vielfältige Gruppe. Es gibt viele Beispiele gelungener Eingliederung. Einiges liegt jedoch im Argen. Nach einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung kostet die unzureichende Integration von Zuwanderern den Staat jährlich rund 16 Milliarden Euro an ausbleibenden Steuereinnahmen und zusätzlichen Sozialausgaben.

Als Anzeichen für gescheiterte Integration gelten oft Gewaltdelikte ausländischer Jugendlicher und Umfragen über die Einstellung von Muslimen. Meist stehen dabei Türken im Vordergrund. Nach einer Erhebung des Bundesinnenministeriums aus dem Jahr 2007 ist es unter jungen Muslimen in Deutschland jedoch nur eine kleine Minderheit, die die westliche Gesellschaft ablehnt und radikale Ansichten vertritt. Eine Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer von der Universität Hannover verweist darauf, dass türkische und andere nichtdeutsche Jugendliche mehr Straftaten begingen als deutsche Jugendliche.

Die Gründe dafür sind der Pfeiffer-Untersuchung zufolge vielschichtig. Dazu zählten der Konsum gewaltverherrlichender Medien, schulischer Misserfolg, problematische Familienstrukturen sowie fehlende Anerkennung durch die Mehrheitsgesellschaft.

Vor allem die fehlende Anerkennung wird immer wieder beklagt. Die deutsche Gesellschaft habe es bislang versäumt, den türkischen Migranten das Gefühl der Zugehörigkeit zu vermitteln, kritisiert die Kölner Bundestagsabgeordnete Lale Akgün (SPD). 17 türkische Verbände protestierten im Januar gemeinsam dagegen, dass die Debatte über Ausländerkriminalität politisch missbraucht werde, ohne dass nach den vielfältigen Gründen für die Taten gefragt werde. Den Verbänden zufolge machten viele Jugendliche die Erfahrung, dass sie hier unerwünscht und chancenlos seien.

Die Trennlinien in der Gesellschaft wurden nach der Brandkatastrophe von Ludwigshafen, bei der neun Türken aus noch ungeklärter Ursache starben, erneut deutlich. Die Erinnerung an die Brandanschläge der 90er Jahre sei sofort dagewesen, sagte Akgün dem epd. Die ausländerfeindlichen Brandanschläge in Solingen und Mölln hätten bei den Türken "tiefe Traumata" hinterlassen. Um Misstrauen abzubauen, müssten Deutsche und Türken mehr aufeinander zugehen. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in diesem Land ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln", mahnt die türkischstämmige Politikerin.

Es gibt jedoch auch Gruppen, die offenbar nicht an einem Gemeinschaftsgefühl interessiert sind. So verwies der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in einer Schrift zum türkischen Nationalismus darauf, dass einzelne islamistische Bewegungen und nationalistische Gruppen die Entstehung von Parallelgesellschaften förderten. Ein Großteil der Migrantenorganisationen unterstützt jedoch die deutsche Integrationspolitik. Deren Vereine bieten Deutschkurse an, pflegen aber auch die türkische Kultur.

Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Urbanistik in Berlin belegt, dass sich Migranten in ihren Stadtteilen durchaus erfolgreich engagieren. Allerdings müssten die Förderangebote und die Zusammenarbeit in den Bezirken weiter ausgebaut werden, mahnen die Forscher. Auch Akgün forderte eine wirksamere Integrationspolitik vor Ort, um Probleme und gegenseitiges Misstrauen nicht nur oberflächlich zuzudecken. "Bei so etwas wie Ludwigshafen bricht sonst alles wieder auf", warnt sie.


Integration: Kirchen gehen voran
Der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zollitsch hat kurz nach seiner Wahl betont, Menschen, die in Deutschland leben wollten, müssten sich dort integrieren. Dies könne nicht durch
Parallelgesellschaften geschehen. Deshalb sei Integration ein wichtiges Thema für die Kirchen. Der Erzbischof erinnerte daran, dass in Deutschland viele türkische Kinder muslimischen Glaubens katholische Kindergärten
besuchten. Die Kirche nehme sie gerne dort auf, weil sie darin einen Beitrag zur Integration sehe. Die katholische Kirche habe sich zudem immer für einen muslimischen Religionsunterricht an deutschen Schulen eingesetzt, allerdings in deutscher Sprache und mit Lehrern, die in Deutschland ausgebildet seien, betonte Zollitsch.

Zum Streit um neue Moscheebauten bemerkte der Erzbischof, Muslime
hätten das Recht auf eigene Gotteshäuser. Das gleiche Recht fordere die Kirche auch für die Christen in der Türkei und anderen islamisch geprägten Ländern. Die Tatsache, dass dieses Recht dort verweigert werde, dürfe nicht im Umkehrschluss dazu führen, dass man jetzt in Deutschland genauso handle.

Eine andere Frage sei, ob die Bauten "in dieser Größe und mit so gewaltigen Minaretten" errichtet werden müssten, so Zollitsch. Eine Gruppe, die sich integrieren wolle, solle nicht provozieren, sondern zeigen, dass sie ihren Weg innerhalb der Gesellschaft gehen wolle. In seinem Erzbistum, nämlich in Mannheim, stehe die derzeit größte deutsche Moschee nahe einer katholischen Kirche, ohne dass dies zu Konflikten führe.

Der Erzbischof kritisierte, dass Moscheebauten oft aus ausländischen Geldquellen finanziert würden. Zudem bedauerte er, dass Imame, die einen intensiven Dialog mit der christlichen Seite suchten, oft von der türkischen Entsendebehörde wieder zurückberufen würden. Er hingegen halte den Dialog für notwendig und hoffe auf Fortschritte.

Jugendgewalt: Katholische Kirche setzt auf Vorbeugung
Im Kampf gegen Jugendgewalt setzt die katholische Kirche vor allem auf vorbeugende Maßnahmen. Sozial- und Jugendarbeit seien "viel wichtiger als nachher mit dem Scherbenhaufen umzugehen", sagt der Leiter des Katholischen Büros Berlin, Prälat Karl Jüsten, dem "domradio". Angesichts der Vorkommnisse in den letzten Wochen müsse die Gesellschaft sich fragen, ob in diesem Bereich nicht zu sehr gespart worden sei. Jüsten warnte Politiker vor "holzschnittartigen" Antworten auf die Frage, welche Maßnahmen zur Gewaltverhinderung ergriffen werden sollten.