David Friedrich Strauß: Theologischer Rebell und Vordenker der kritischen Bibelforschung vor 200 Jahren geboren

Zerstörer der Bibel?

Frommen Christen gilt er bis heute als Zerstörer der Bibel und Prototyp des ungläubigen Theologen. Sein weltbewegendes Buch "Das Leben Jesu" (1835) machte David Friedrich Strauß (1808-1874) berühmt. Darin unterzieht er die vier Evangelien einer Radikalkritik und bezeichnet das Neue Testament als weitgehend unhistorisch, vor allem was die Wundergeschichten betrifft. Damit zog er einen Sturm der Entrüstung auf sich und verbaute sich jede kirchliche und akademische Karriere. Albert Schweitzer (1875-1965) würdigte den am 27. Januar vor 200 Jahren im württembergischen Ludwigsburg geborenen Strauß als einen der wahrhaftigsten Theologen.

Autor/in:
Stephan Cezanne
 (DR)

Der Rebell Strauß ist heute eine der wichtigen Gestalten in der evangelischen Theologiegeschichte. Sein Werk hatte starken Einfluss auf die Leben-Jesu-Forschung, dem vor allem von Protestanten seit dem
18. Jahrhundert geleisteten Studium des historischen Lebens Jesu anhand der Bibel und antiker Quellen. Dies mündete in die historisch-kritische Exegese, die zur Neuinterpretation der Bibel führte.

Der hoch begabte Kaufmannssohn studierte Theologie am legendären
Evangelischen Stift zu Tübingen. 1830 wurde der Jugendfreund von Eduard Mörike (1804-1875) nach glänzenden Examen Vikar. Doch bereits in dieser Zeit bedrücken ihn Zweifel am christlichen Glauben. Als Dozent schlug er seine Studenten in den Bann. Ein Ruf als Professor nach Zürich zerschlug sich wegen kirchlich-konservativen Protesten. Mit 31 Jahren wurde Strauß vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Er lebte darauf als freier Schriftsteller und versuchte sich zwei Mal in der Politik. 1848 wurde er von seiner Vaterstadt vergeblich als Kandidat für das deutsche Parlament aufgestellt. Als Abgeordneter der Stadt Ludwigsburg saß er kurze Zeit im württembergischen Landtag.

Jesus als Symbol und "religiöses Genie"
Strauß war nicht der Erste, der die Bibel unter die Lupe nahm. Schon der Hamburger Professor für orientalische Sprachen, Hermann Samuel Reimarus (1699-1768) kam nach einem Vergleich der Berichte über die Auferstehung Jesu zum Schluss: Die Aussagen der vier Evangelisten weichen in der zentralen Frage des Christentums so weit voneinander ab, dass sie vor keinem Gericht der Welt Bestand hätten. Warum sollte die Menschheit darauf "Glauben und Hoffnung zur Seligkeit gründen"?

Strauß spitzt diese Gedanken rund 100 Jahre nach Reimarus zu: "Wir sehen heutzutage alle Dinge im Himmel und auf Erden anders an, als die neutestamentlichen Schriftsteller." Gott sei "ein anderer, unsere Welt eine andere, auch Christus kann uns nicht mehr der sein, der er ihnen war". Der "vorzügliche Mensch" Jesus war für ihn vielmehr ein religiöses Genie und Symbol für die "ewige Idee des Gottmenschen".

Wahrheit und Mythos Bibel
Der Streit um die Bibelkritik hat sich gelegt. Von den großen Kirchen wird die historisch-kritische Exegese meist akzeptiert, freilich nicht in der Radikalität eines Strauß. Die Wahrheit der Bibel zeige sich im Gebrauch, etwa als Trostbuch im Leid, betont die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands: "Dafür ist sie geschrieben." Die Kirche verlange auch keinen Glauben an die Bibel, diese spreche für sich selbst. "Die historisch-kritische Forschung kann der Wahrheit dienen, aber die Wahrheit sagen, kann sie nicht."

Strauß, so Historiker, wollte das Übernatürliche nicht wegerklären, obwohl er häufig dessen beschuldigt wird. Er wollte den Mythos der Bibel vielmehr positiv umdeuten. Strauß konnte die biblischen Geschichten als "Mythen auffassen und sich doch in dem gleichen Atem zu ihrem ewigen Wahrheitsgehalte als anschaulicher Darstellung des religiösen 'Prinzips' des Christentums bekennen", bilanzierte der Theologieprofessor Paul Althaus (1888-1966).

"Der alte und der neue Glaube"
Doch während Strauß in frühen Jahren noch die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens verteidigte, wird das Christentum in seinem letzten Werk "Der alte und der neue Glaube" (1872) obsolet. Schon lange vor seinem Tod verstand er sich nicht mehr als Christ, sondern warb für eine Art Humanitätsreligion. Sein literarisches Testament, so der Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf, wurde in freireligiösen Gemeinden und der Arbeiterbewegung daher zum Kultbuch.

Über die Kirche schrieb Strauß: "Man wird erst ganz wahr, nachdem man
den letzten Schritt aus den Grenzen dieser Selbstbelügungsanstalt
herausgemacht hat." Auch für seine Beerdigung - er hatte einst nur
notgedrungen seiner kirchlichen Trauung zugestimmt - untersagte er "jede Beteiligung eines Geistlichen bei meiner dereinstigen Leiche". Strauß starb im Alter von 66 Jahren am 8. Februar 1874 in seiner Geburtsstadt. Er wurde ohne religiöse Feier beigesetzt.