Hamburgs Weihbischof Jaschke im domradio-Interview zu den Kindermorden in Darry

"Die Kinder sind von Gott nicht verlassen"

Die Kindermorde im Schleswig-Holsteinischen Darry versetzten ganz Deutschland unter Schock. Nicht nur die Menschen in und um das kleine Dorf sondern auch die Politiker und Kirchenvertreter können die grausame Tat noch nicht wirklich begreifen. Dr. Hans-Jochen Jaschke ist Weihbischof im Erzbistum Hamburg, zu dem auch die betroffene Gemeinde Plön gehört.

 (DR)

Wie haben Sie und die Menschen in ihren Gemeinden die Morde in Darry aufgenommen?

Wir sind genauso perplex und ratlos wie alle anderen. Sehen Sie, Darry ist ein kleines Dorf mit 450 Einwohnern, da kennt jeder jeden. Die Frau ist mit den Kindern erst vor kurzem dazugezogen. Irgendwie ist wohl auch auffällig gewesen, dass die Kinder es nicht so gut haben und man hat sich auch schon um sie gekümmert, aber Wahnsinnstaten, gerade Taten die auf Grund ganz schlimmer psyschischer Störungen begangen werden, die kann ja niemand voraussehen. Es ist furchtbar, aber vielleicht müssen wir auch immer wieder solche Signale haben um zu sehen 'Kinder sind das Wertvollste was wir haben'. Unsere Gesellschaft hat hohe Verantwortung für Kinder und helfen wir Kindern das sie leben können.

In einer derart schweren Situation schauen ja viele Menschen auf die Kirche und hoffen auf Trost und auch auf eine Erklärung der Tragödie aus christlicher Sicht. Haben Sie eine?

Die Kirche kann Trost geben durch die Seelsorger vor Ort wenn Menschen sich auf Gespräche einlassen. Erklärungen in dem Sinne, dass das nun plausibel und in jeder Hinsicht überzeugend ist, kann es natürlich nicht geben. Aber gerade zu Weihnachten sehen wir Gott, an den wir Christen glauben wollen, er ist selber ein Kind geworden. Um ihn herum wurden Kinder ermordet, d.h. also Gott selber hat dies Schicksal der Bedrohung auf sich genommen. Gottes Sohn ist auf die Flucht nach Ägypten gegangen, er ist in einem Stall geboren. Also, wenn wir sehen, dass Gott selber in diese Schutzlosigkeit des Kindseins eingetreten ist, dann kann uns das ein Trost sein, weil wir sagen: die Kinder sind von Gott nicht verlassen.

Viele sind ja aber so verzweifelt, dass sie auch fragen "Warum lässt Gott das zu", darf man so eine Frage stellen?

Man kann jede Frage stellen. Auch da sind die Antworten immer mit Vorsicht zu geben, weil das ja nicht Antworten sind die den Kopf erreichen. Stellen wir uns mal vor, Gott hätte eine Welt, einen Menschen geschaffen der programmiert ist. Der nur das tuen kann was in ihn hineingelegt ist, das wäre eigentlich kein richtiger Mensch. Zur Schöpfung, zum Schaffen gehört auch das Menschen frei sein können, sogar frei um das Schlimmste zu tun. Aber die menschliche Freiheit ist zum Glück nie so groß, dass Gottes Liebe und Barmherzigkeit nicht noch größer ist. Also, Christen glauben doch und jeder vernünftige Mensch glaubt, dass unser Leben nicht aufgeht in dieser Welt sondern das unser Leben im Himmel seine Vollendung findet und ich bin sicher, diese Vollendung im Himmel die ist den Kindern ganz, ganz gewiß.

Eigentlich stand ja die betroffene Familie, wie Sie es auch schon sagten, seit längerem unter der Beobachtung des Jugendamtes. Die Mutter, wie sich jetzt eben ganz klar herausgestellt hat, war hochgradig psychisch krank. Haben die Behörden da nicht, sag ich jetzt mal, brutal versagt?

Tja, man ist jetzt natürlich immer dabei Schuldige zu suchen, das ist auch verständlich aber auch ein bisschen pharisäisch. Kann man von einem brutalen Versagen sprechen? Die Behörde hat sicherlich versucht, das Beste zu tun. Sie hat sich ja zu Besuchen angesagt und geholfen. Vielleicht hat man auch schon langsam die Alarmlampen brennen sehen und vielleicht noch ein bisschen gewartet um zu sehen was man tun muss. Aber von einem brutalen Versagen der Behörde möchte ich nicht reden, das wird den Menschen mit Sicherheit nicht gerecht. Wir leben nicht in einer Welt in der sich alles kalkulieren und in der mit allem gerechnet werden kann.

Unvorstellbar ist doch auch, dass das Verschwinden von fünf kleinen Kindern in einem 450 Seelendorf nicht sofort aufgefallen war. Was ist da vielleicht auch in unserer Gesellschaft marode?

Das sind kleine Häuser in so einem Dorf, die liegen ein Stück weit auseinander. Man kennt sich in einem Dorf, aber wenn Fremde dazuziehen dann leben die auch in einer gewissen Distanz. Sie waren ja nicht für längere Zeit verschwunden. Man hat sie einen Tag nicht gesehen, sie waren nicht in der Schule, soweit ich weiß. Also, es gibt natürlich Sozialkontrolle aber die kann nicht so eng sein, dass man jede Bewegung eines Menschen kennt und wenn sogar der Bürgermeister davon gewusst hat, dass die Kinder keine richtigen Schulbrote mitbekommen haben, sieht man doch wie eng dort die Verbundenheit der Menschen untereinander ist. Also, ich warne davor, dass man jetzt so nach den Schuldigen sucht und mit einer moralisierenden Geste sagt 'Das hätte doch nicht sein dürfen, das hätte doch nicht passieren dürfen'.

Herr Weihbischof, was muss sich denn ändern, damit Morde wie diese, oder auch die Kindermorde von Plauen, sich  nicht wieder wiederholen?

Es wird immer solche Schrecklichkeiten geben. Wir müssen alles versuchen, dass wir sie vermeiden durch ein soziales Miteinander, ein waches Auge füreinander, durch eine insgesamt kinderfreundliche Gesellschaft. Wir müssen versuchen Menschen stabile Beziehungen zu ermöglichen, die Frau hat ja die Kinder auch mit zwei Männern gehabt, wahrscheinlich hatte sie auch keine ganz guten ehelichen Beziehungen, so das sie da glücklich werden konnte. Und wir müssen versuchen insgesamt eine Atmosphäre wieder zu entdecken, das unsere Gesellschaft nur dann Zukunft hat, wenn sie eine junge Gesellschaft bleibt.