Kultusminister der Union verärgert - Deutschland schneidet besser ab

Unmut über Pisa-Erfinder

Das Deutsche Bildungssystem feiert sein Comeback: Laut der Iglu- und nun auch Pisa-Studie schneiden Deutsche Schüler deutlich besser als zuletzt ab. (Hören Sie hier eine Einschätzung des Erziehungswissenschaftlers Volker Ladenthin.) Unmut regt sich unterdessen über den Pisa-Erfinder.

 (DR)

Die Missachtung der Sperrfrist sorgt inzwischen bei der Kultusministerkonferenz (KMK) für Unmut. Sie forderte laut "Welt Online" die OECD zu Konsequenzen gegenüber Pisa-Erfinder Andreas Schleicher auf, weil dieser die Ergebnisse bestätigt und die Studie vorab kommentiert habe.

Laut Pisa-Studie 2006, die am Dienstag offiziell veröffentlicht werden soll, haben sich die Leistungen der 15-jährigen Schüler in Deutschland im Bereich Naturwissenschaft signifikant verbessert. Spitzenreiter bleibt weiterhin Finnland, gefolgt von Hongkong (China) und Kanada. Deutschland rückt von Rang 18 auf Rang 13 vor. Die letzte Studie hatte deutschen Schülern noch deutliche Bildungsdefizite attestiert.

"Inkorrekt und schamlos"
Ein direkter Vergleich mit früheren Ergebnissen sei allerdings nicht möglich, hieß es einschränkend in der Presseerklärung. Durch Schwerpunktsetzung hätten sich Umfang und Struktur des Tests stark verändert. Auch Schleicher machte diese Einschränkung. In der "Tagesschau" sagte er zudem, dass das jüngste Testverfahren bestimmte Stärken deutscher Schüler begünstigt habe. Der deutsche Pisa-Chef Manfred Prenzel widersprach dieser Einschätzung. Die Ergebnisse seien vergleichbar, lediglich die Rahmenkonzeption sei fortentwickelt worden, so der Bildungsforscher.

KMK-Generalsekretär Erich Thies sprach bezüglich der Vorab-Bewertung Schleichers gegenüber "Welt Online" von einem "politischen Skandal". Das Verhalten des Pisa-Erfinders sei "inkorrekt und schamlos". Die Kultusminister der unionsgeführten Länder fordern laut "Welt Online" die "Suspendierung" Schleichers. Die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) sagte, Schleicher könne es wohl "aus ideologischen Gründen" nicht ertragen, wenn Deutschland "durch erhebliche pädagogische Reformen besser geworden sei und sich nicht auf das Gleis der Schulstrukturdebatten begeben" habe.

Politik verweist auf greifende Bildungsreformen
Bei der am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Bildungsstudie "Iglu" belegten die Viertklässler international den 11. von 45 Plätzen. Nach Angaben des Studienleiters Wilfried Bos liegt Deutschland sogar an der EU-Spitze, wenn man den hohen Anteil ausgeschlossener Schüler in anderen Ländern berücksichtige. Die deutschen Viertklässler hätten "richtig gut zugelegt". Deutschland gehöre damit zu den elf Iglu-Teilnehmer-Staaten mit signifikant besseren Leistungen als 2001.

Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Jürgen Zöllner (SPD), und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) werteten die Studie als Beleg dafür, dass die Bildungsreformen in Deutschland griffen. Zugleich forderten beide, die Chancengleichheit in der Bildungslaufbahn zu verbessern.

Trotz aller Verbesserungen konstatiert die Studie weiterhin eine starke Abhängigkeit der Bildungschancen von der sozialen Herkunft. Kinder aus bildungsnahen Elternhäusern haben in Deutschland einen deutlichen Leistungsvorsprung gegenüber ihren Mitschülern aus bildungsfernen Schichten. Gleichzeitig müssen diese wesentlich höhere Leistungen erbringen, um von Lehrern und Eltern eine Gymnasialempfehlung zu erhalten.

Migrationshintergrund
Die Leseleistungen von Kindern mit Migrationshintergrund haben sich zwar gegenüber 2001 verbessert, liegen aber immer noch deutlich hinter denen einheimischer Schüler. Ebenso gilt für Bos die mangelnde Leseförderung im Elternhaus als Bildungsproblem. Gegenüber der letzten Studie konnten die Jungen den Vorsprung der Mädchen in der Lesekompetenz verringen. Sie liegen aber immer noch nicht gleich auf.

Bos verlangte eine "Institutionelle Abfederung" etwa durch den Ausbau von Ganztagsschulen. Wenn Lehrer Gymnasialempfehlungen verweigerten, spiele auch die Sorge eine Rolle, ob die Schüler vom Elternhaus die notwendige Unterstützung erhielten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erklärte, Deutschland könnte zur Bildungselite gehören, "wenn wir Schluss mit der unseligen Auslese machen". Der Bundesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Ludwig Eckinger, erklärte, die Grundschulen als gemeinsamer Lernort für alle Kinder bewährten sich. Er lobte das Engagement der Lehrer. Zugleich verlangte er einen Masterabschluss für das Lehramtsstudium für Grundschullehrer.

Zu wenig: Nur elf Prozent Spitzenleser
Die deutschen Grundschüler erreichten durchschnittlich 548 von maximal 700 Punkten, damit neun Punkte mehr als bei der ersten Untersuchung. Laut Studie ist der Anteil der "Risikokinder" unter den Viertklässlern mit 13,2 Prozent "vergleichsweise gering"; dennoch insgesamt weiterhin zu hoch, so Bos. Als "unbefriedigend" werteten die Experten den geringen Anteil von rund elf Prozent an den Spitzenlesern. Ferner schneiden deutsche Schüler bei der Entnahme von Informationen aus Texten signifikant besser ab als bei komplexen Schlussfolgerungen.

Platz eins erreichte diesmal Russland vor Hongkong und der kanadischen Provinz Alberta. Bei der ersten Studie hatte noch Schweden den ersten Platz belegt, ist jetzt aber nur noch zehnter. Die Niederlande waren zunächst auf Rang 2 und fielen auf Rang 12 zurück, England sogar vom 3. auf den 19. Platz.