Politiker fordern höhere Regelsätze - Finanzierung unklar

Hartz-IV ist entwürdigend

Seit die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II vor fünf Jahren der Öffentlichkeit präsentiert wurde, ist "Hartz IV" zum Inbegriff des sozialen Abstiegs geworden. Angesichts der drastischen Erhöhung der Milch- und Butterpreise in den letzten Tagen, forderte Vizekanzler Müntefering eine Anhebung der Bedarfssätze. Finanzieren will er das Vorhaben durch die Einführung des Mindestlohns. Wirtschaftswissenschaftler warnen vor den Kosten höherer Regelsätze.

 (DR)

In der Debatte über eine Anhebung der "Hartz IV"-Regelsätze stößt Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) mit seiner Forderung nach einem generellen Mindestlohn auch in der Union auf Verständnis. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sagte am Dienstag, ein Zusammenhang zwischen Mindestlohn und "Hartz IV" könne "man nicht wegdiskutieren". Damit widersprach Böhmer Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Merkel hatte am Vortag über Vizeregierungssprecher Thomas Steg mitgeteilt, sie sehe die Mindestlohndebatte damit "nicht in unmittelbarem kausalen Zusammenhang". Böhmer betonte mit Blick auf das Argument, Mindestlöhne entlasteten die öffentlichen Kassen, so dass Geld für höhere "Hartz IV"-Leistungen frei sei: "Diesen Gedanken kann man nicht abweisen, der ist naheliegend." Zugleich warnte er die SPD aber davor, die Verknüpfung der beiden Themen erzwingen zu wollen: "Das eine zu instrumentalisieren, um das andere Ziel zu erreichen, das wird mit Sicherheit nicht aufgehen."

Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Olaf Scholz, verwies auf die Notwendigkeit genereller Mindestlöhne. Es gebe viele Menschen, die den ganzen Tag arbeiteten und trotzdem nicht genug Geld zum Leben hätten. Diese Menschen müssten Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen.

Agenda 2010 nicht wegen teurer Butter "über Bord werfen"
Unions-Haushaltsexperte Steffen Kampeter (CDU) warnte, eine Anpassung des "Hartz IV"-Regelsatzes würde einige hundert Millionen Euro zusätzlich kosten. Unterstützung in dem Punkt bekam er vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA). "Wer 'Hartz IV' massiv anheben will, nimmt mehr Leistungsbezieher und höhere Ausgaben in Kauf", sagte IZA-Sozialexperte Werner Eichhorst. Schon zwei Prozent mehr beim Arbeitslosengeld II bedeuteten eine Zusatzbelastung von etwa 500 Millionen Euro für den Bundeshaushalt. "Nur weil bei Aldi die Butter teurer wird, darf man die Agenda 2010 nicht über Bord werfen", kritisierte er.

Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn hielt dagegen, nicht zuletzt angesichts steigender Lebenshaltungskosten stehe "außer Frage, dass die Hartz-IV-Sätze erhöht werden müssen". Es sei außerdem "weder christlich noch sozial", wenn rund 500 000 Menschen trotz Vollzeitarbeit nicht ihren Lebensunterhalt sichern könnten. "Deshalb muss Kanzlerin Merkel ihre Blockade gegenüber dem Mindestlohn aufgeben."

Hartz IV ist entwürdigend
Der stellvertretende Linke-Vorsitzende Klaus Ernst sagte, der "Hartz IV"-Regelsatz sei derzeit "deutlich zu gering". Er wertete die vor fünf Jahren vorgestellten Hartz-Reformen als eine "großflächige Entwürdigung von Menschen". Den Sozialdemokraten warf er vor, sich aktuell nur aus taktischen Gründen für Mindestlöhne starkzumachen.

Die FDP lehnt eine ALG-II-Erhöhung ab. "Die Sozialleistungen nach Hartz IV sind zu Recht an die Rentenentwicklung gekoppelt", sagte FDP-Chef Guido Westerwelle. "Es wäre nicht fair, wenn sie stärker steigen würden als Renten oder Arbeitseinkommen."

Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, bezeichnete die Diskussion als "Scheindebatte". Ein Mindestlohn würde eine große Zahl von Jobs gefährden.