Soziologin: Müttermytos erhält den Teufelkreis der Armut über mehrere Generationen

Familie ist nicht nur Privatsache

Die Familiensoziologin Uta Meier-Gräwe hat einen "ausgeprägten westdeutschen Müttermythos" für eine geringe Geburtenrate verantwortlich gemacht. Gerade Kinder aus benachteiligten Verhältnissen blieben allein den Frauen überlassen und erhielten kaum kindgerechte und familienergänzende Betreuungs-,
Bildungs- und Förderangebote. Familien dürfen für die Kommunen nicht nur Kostenfaktor sein, fordert Uta Meier-Gräwe im domradio Interview.

 (DR)

Es gibt in Deutschland einen bekannten Mangel an verlässlichen Betreuungsmöglichkeiten. Die von Seiten der Unternehmen geforderte Flexibilität sowie längere Arbeitswege, aber auch von außen vorgegebene Zeiten, zum Beispiel in Beruf, Schule oder im Gesundheitswesen, führten für Familien zu einem zunehmenden Zeitstress. Darunter litten sowohl das Privat- als auch das Berufsleben vor allem von Frauen. Eine qualifizierte Betreuung und Bildung von Geburt an, verbunden mit einer Stärkung der Elternkompetenz, stelle vor allem für Kinder aus benachteiligten Familien die einzige Möglichkeit da, dem Teufelskreis der Armut zu entkommen. Kinderbetreuung sollte als Ergänzung und nicht als Konkurrenz zur Familie verstanden werden.

Wettbewerb um Familien
Auf diese problematische Situation müssten nach Ansicht Meier-Gräwes vor allem die Städte und Gemeinden reagieren. Sie müssten ein klares Bekenntnis zur Familie ablegen und in entsprechende Strukturen investieren. Alle kommunalen Akteure im Umfeld der Familien sollten sich zusammentun und ihre Kräfte für die Familien bündeln. In Zeiten sinkender Geburtenraten wird es einen zunehmenden Standortwettbewerb der Städte und Landkreise um Familien geben.
Familien sind die besten Investoren in soziale Netzwerke. Vor allem junge Paare mit guter Ausbildung und Arbeitsmarktchancen verfügten über Kaufkraft, mit der sie Arbeitsplätze auch im Interesse der Gemeinden schaffen.

Die Folgen des "Müttermythos"
Der "Müttermythos", dass allein eine Rundum-Betreuung durch die Mutter ein gedeihliches Aufwachsen der Kinder garantiere, kollidiere zunehmend mit den "berechtigten Ansprüchen" der am besten ausgebildeten Frauengeneration aller Zeiten, sagte Meier-Gräwe vor den rund 240 Synodalen. Ein "Gebärstreik" der Frauen, aber auch ein "Zeugungsstreik" der jüngeren Männer sei die katastrophale Folge für die Zukunft der bundesdeutschen Gesellschaft. So müssten auch Männer weiter mit Vorurteilen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf kämpfen. Durch die Bildungsgleichheit zwischen Männern und Frauen bekomme die Frage nach dem beruflichen Verzicht zugunsten der Kinder eine neue Qualität.

Die Landessynode der evangelischen Kirche diskutiert noch bis Freitag das Thema Familie und wird voraussichtlich dazu ein Positionspapier verabschieden. Uta Meier-Gräwe sprach am Montag vor den Synodalen zum Thema.