Wunibald Müller rät Großeltern zu Zurückhaltung, wenn Kinder und Enkel keinen Bezug mehr zu Kirche und Glauben haben.
In der aktuellen Ausgabe der "Herder Korrespondenz" beschreibt Müller religiöse Entfremdung zwischen den Generationen als verbreitetes Phänomen und als Herausforderung: "Großeltern sind irritiert und enttäuscht, wenn im Leben ihrer Enkel Gott anscheinend keine Rolle mehr spielt."
Müller schreibt, dass es dabei nicht nur um familiäre Konflikte gehe, sondern auch um die Frage, welche Konsequenzen diese Situation für den persönlichen Glauben und das Verhältnis zur Kirche habe.
Viele Großeltern entzögen sich dieser Spannung, obwohl sie auch "eine Chance sein" könne, ihren eigenen Glauben kritisch zu überprüfen und sich kirchlich neu zu positionieren.
Gesellschaftlicher Wandel
Als Hintergrund nennt Müller den gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit Religion. "Das spirituelle Angebot wird nicht wie in früheren Zeiten selbstverständlich mit in die Wiege gelegt", vielmehr werde es zunehmend "auf dem freien Markt angeboten".
Diese Entwicklung könnten Großeltern weder ignorieren noch stoppen. Ihr Einfluss auf die Glaubensentscheidungen der Kinder und Enkel sei begrenzt.
Unterschiedliche religiöse Haltungen
Die religiösen Haltungen der jüngeren Generation seien dabei sehr unterschiedlich. Manche gingen bewusst den vertrauten Glaubensweg, andere hätten kein Interesse an Glauben und Kirche, wieder andere stünden ihnen gleichgültig oder feindlich gegenüber. Übereinstimmung erleichtere den Austausch, Differenz mache ihn konflikthaft, so der Rat an Eltern und Großeltern.
Müller fordert deshalb einen respektvollen Umgang mit den Entscheidungen der Kinder. "Großeltern müssen die Entscheidung der Kinder respektieren."
Enttäuschung dürfe nicht dauerhaft gezeigt werden, da sonst die Gefahr bestehe, dass sich Kinder und Enkel distanzierten und Großeltern in Traurigkeit und Verbitterung verharrten.
Zugleich warnt Müller vor Schuldgefühlen. Viele Großeltern machten sich Vorwürfe, bei der religiösen Erziehung versagt zu haben. Selbst dort, wo problematische Gottesbilder oder kirchliche Lehren weitergegeben worden seien, gelte: Schuldgefühle dürften nicht zur dauerhaften Selbstanklage werden.
Trost für Großeltern und Seelsorgende
Der Experte rät zu einem theologischen Perspektivwechsel: "Gottes Liebe zu uns Menschen beginnt nicht erst mit der Taufe." Daraus zieht er den Schluss: "Enkel ohne Gott? Nein, es gibt keine Enkel ohne Gott." Das könne ein Trost für Großeltern und Seelsorgende sein.
Wunibald Müller wurde 1950 geboren und ist promovierter Theologe und psychologischer Psychotherapeut. Er leitete von 1991 bis 2011 das therapeutisch-spirituelle Zentrum "Recollectio-Haus" in Münsterschwarzach. Demnächst erscheint sein Buch "Enkel ohne Gott" im Herder-Verlag.