KNA: Herr Pfarrer Bingener, Sie haben vor kurzem von den Sternsingern unterstützte Hilfsprojekte in Bangladesch besucht. Dabei haben Sie auch zwei Kinder getroffen, die jahrelang in Hinterhoffabriken ausgebeutet wurden. Wie waren diese Begegnungen?
Dirk Bingener (Präsident des katholischen Hilfswerks missio Aachen): Das waren berührende, wunderbare Erlebnisse. Denn unsere Projektpartner konnten die beiden zwölfjährigen Kinder, Nour und Tazim, aus der Kinderarbeit befreien.
Sie gehen jetzt wieder in die Schule. Das ist, wie wenn man einem Vogel die Freiheit schenkt und er davonfliegt. Sie können endlich wieder das tun, von dem sie jahrelang nur geträumt haben: lernen, staunen und an die eigene Zukunft glauben.
KNA: Aber zuvor haben die beiden, seit sie zehn beziehungsweise sechs Jahre alt waren, sechs Tage die Woche für umgerechnet zwei Euro am Tag geschuftet?
Bingener: Ja, Tazim musste in einer Hinterhoffabrik Aluminiumtöpfe herstellen und bearbeiten. Die rotierenden Maschinen machen einen Höllenkrach, es war heiß, dreckig. Es gab keinerlei Schutz vor dem Metallstaub. Er stand barfuß in den scharfkantigen Metallspänen.
Nour hat mir geschildert, wie sie den ganzen Tag unter schwierigen Bedingungen Tüten herstellen und verpacken musste.
KNA: Experten gehen von 1,8 Millionen Kinderarbeitern in Bangladesch aus, 1,1 Millionen von ihnen müssen unter ausbeuterischen Verhältnissen schuften. Was kann da eine einzelne Hilfsorganisation erreichen?
Bingener: Diese großen Zahlen stehen für eine unvorstellbare Unmenschlichkeit. Und zunächst stehen wir dem vermeintlich ohnmächtig gegenüber. Wie bei vielen großen Themen wie Flucht oder Klimawandel.
Aber es ist wichtig, dieser gefühlten Ohnmacht durch einen ersten Schritt zu entkommen. Denn wenn wir das Thema an uns heranlassen, merken wir, es geht um Einzelschicksale. Jedes Kind, das arbeiten muss, hat einen Namen. Unser Engagement zeigt, dass eine Befreiung aus der Kinderarbeit und eine Verbesserung der Lebenssituation möglich ist.
Die Sternsinger-Partnerorganisation ARKTF-Stiftung ("Abdur Rashid Khan Thakur Foundation") hat in Westbangladesch, in der Region Jessore, in den vergangenen Jahren rund 10.000 Kinder begleitet und Hilfe angeboten. Unser Engagement lohnt sich für jedes einzelne Kind, das seine Träume leben kann.
KNA: Aber wie nachhaltig können solche Hilfen sein?
Bingener: Unser Ansatz nimmt immer die gesamte Familie in den Blick. Denn nur wenn die Familie ein stabiles Einkommen hat, sind die Kinder davor geschützt, wieder arbeiten zu müssen.
Die Mutter von Nour haben wir beispielsweise mit einem kleinen Kredit dabei unterstützt, einen Kiosk zu eröffnen, der nun das Familieneinkommen sichert.
KNA: Was können Menschen hier in Deutschland gegen Kinderarbeit tun?
Bingener: Zunächst etwas Naheliegendes, die Sternsinger unterstützen, also Kinder und Jugendliche, die etwas für Gleichaltrige erreichen wollen. Aber auch darüber hinaus laden wir dazu ein, sich mit dem Thema Kinderarbeit überhaupt zu befassen. Und genau hinzuschauen, ob die Produkte, die ich kaufe, garantiert ohne Kinderarbeit hergestellt wurden.
Es geht auch darum, der Politik zu zeigen, dass dieses Thema wichtig ist. Dafür treten wir ein. Es gilt deutlich zu machen, wir wollen keine ausschließlich interessengeleitete Außen- und Entwicklungspolitik, sondern eine wertebasierte, die die Interessen der Schwächsten und besonders der Kinder im Blick hat.
KNA: Das Lieferkettengesetz, das genau darauf abzielte, wurde nun vom Europaparlament wieder gelockert. Geht also die Politik nicht in die genau andere Richtung?
Bingener: Man kann sicher über dieses Gesetz debattieren, also ob es für Unternehmen zu bürokratisch war. Aber was jetzt fehlt, ist die Debatte darüber, wie man dann auf anderem Wege Kinderarbeit weltweit ein für alle Mal beendet. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit das Thema jetzt nicht aus den Augen zu verlieren.
KNA: Werden Sie diese Appelle auch bei den traditionellen Sternsinger-Besuchen bei Bundespräsident Steinmeier und erstmals auch bei Bundeskanzler Merz anbringen?
Bingener: Wir freuen uns schon sehr auf den Besuch beim Bundespräsidenten und beim Bundeskanzler und nehmen den Empfang der Sternsinger als große Ehre und Unterstützung wahr.
Die Kinder und Jugendlichen werden ihre Botschaft gegen Kinderarbeit weltweit deutlich machen. Ich bin sicher, dass sie dabei nicht auf taube Ohren stoßen werden.
KNA: Viele kirchliche Debatten sind derzeit von Rückgang, Sparen und Zukunftsängsten bestimmt. Wie ist das bei den Sternsingern?
Bingener: Wir sind unglaublich froh und dankbar, dass wir nach der Corona-Pandemie, als es keine normale Sternsingeraktion geben konnte, wieder das Vor-Pandemie-Level erreicht haben.
Auch zum Jahreswechsel 2025/26 werden sich wieder geschätzte 300.000 Sternsinger mit 80.000 Begleitenden auf den Weg machen.
KNA: Aber mancherorts gibt es doch nicht mehr genügend Engagierte?
Bingener: In der kirchlichen Jugendarbeit erlebt man häufig Wechsel und Wellen. Manche wachsen aus dem Engagement heraus, Neue kommen mit der Zeit nach.
Insgesamt sind wir sehr zuversichtlich, denn mancherorts sind sogar wieder mehr Sternsinger unterwegs. Wichtig ist, dass wir das ehrenamtliche Engagement vor Ort so gut wie möglich unterstützen.
KNA: Haben sich die Spendenerlöse in den vergangenen Jahren weiter erhöht?
Bingener: Ja, und das freut uns, weil die Gelder weltweit dringend gebraucht werden. Aber entscheidend bei der Sternsingeraktion ist, dass Kinder und Jugendliche so sind, wie wir als Kirche immer sein sollten:
Sie besuchen die Menschen in ihren Wohnungen, bringen den Segen des neugeborenen Jesuskindes, schenken so viel Freude und werden mit all denen, die sich solidarisch zeigen, selbst zum Segen für die Menschen in der Einen Welt.
Das Interview führte Volker Hasenauer, KNA.