Domzeremoniar Jörg Stockem bleibt stets im Hintergrund

Der Regisseur der Heiligen Nacht

Wenn im Kölner Dom an Heiligabend alles seinen geordneten Gang geht, hat einer die Fäden gezogen. Domzeremoniar und Domvikar Jörg Stockem sorgt dafür, dass in der Christmette nichts schief geht. Und wenn doch, weiß er, was zu tun ist.

Autor/in:
Nicolas Ottersbach

Der Kölner Domzeremoniar Jörg Stockem ist früher da als alle anderen. Die Gewänder der Zelebranten liegen zwar schon in der warmen Sakristei parat, genauso wie die Gebetbücher und die Texte für Lesung oder Fürbitten der Christmette an Heiligabend. "Aber ich bin die letzte Instanz, die kontrolliert, ob alles richtig ist", erzählt er, während er durch die Seiten blättert.

Er ist der Regisseur der Liturgie. Derjenige, der sagt, wo es langgeht, wortwörtlich. Der 51-Jährige, der gleichzeitig Domvikar ist, schickt die Messdiener an die richtige Stelle und gibt das Kommando zum Weihrauchfassschwenken. Für die Gläubigen bleibt er meist verborgen, sein Platz ist der Hintergrund. Außer er schleicht zum Ambo, um die richtige Seite aufzuschlagen, oder räumt den Altar nach der Kommunion auf. Wenn alles gut läuft, bemerkt niemand, dass er da ist.

Der Mann mit dem Überblick

Als Domzeremoniar trägt Stockem die Verantwortung dafür, dass große Liturgien so ablaufen, wie sie geplant sind – gerade dann, wenn ihnen Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki vorsteht. "Zeremonienmeister trifft es ganz gut", sagt er. Während der Messe entscheidet er, was wie geschieht, wenn irgendetwas aus dem Ruder läuft. Seine Aufgabe ist es, auf mehreren Ebenen gleichzeitig zu denken: Was passiert jetzt? Was kommt als Nächstes? Und was könnte dabei schiefgehen? Stockem ist nicht in den festen liturgischen Dienst eingebunden, damit er die Hände frei hat. Alle Fäden laufen bei ihm zusammen: Dommusik, Geistliche, Küster, Messdiener, Technik. "Ich bin so eine Art Kommunikator im Zentrum", sagt er.

Domvikar Stockem in der Sakristei des Kölner Doms.

Dass Domvikar und Domzeremoniar in einer Person zusammenfallen, ist derzeit keine Selbstverständlichkeit. Früher gab es am Dom mehrere Domvikare, von denen einer den Zeremoniarsdienst übernahm. Heute ist Stockem allein. "Deswegen obliegt mir das alles", sagt er nüchtern. Und er hat die Chance, über Jahre die Liturgie am Dom mitzuprägen, sie weiterzuentwickeln.

Von der Pfarrei in Bornheim an den Dom

Dabei war dieser Weg keineswegs vorgezeichnet. Fast 20 Jahre arbeitete Stockem in der Pfarrseelsorge, als Kaplan und später als Pfarrer in Bornheim. "Ich hätte eigentlich gar nicht gedacht, dass man mich einmal in den Kölner Dom holen würde", sagt er. Vor gut fünf Jahren kam dann die Anfrage aus dem Erzbistum, auch vom Erzbischof selbst. Der Dom befand sich im Umbruch. Aufgaben, die früher auf mehrere Schultern verteilt waren, wie Dompfarrer, Domvikare, Domdiakon, sollten gebündelt werden. "Deswegen hat man mich als gestandenen Pastor hierhin geholt", sagt Stockem. Das sei Herausforderung und Freude zugleich.

Wer Domzeremoniar wird, bekommt keinen klassischen Ausbildungsgang. Stockem lernte von seinem Vorgänger und aus Büchern. Das "Zeremoniale für die Bischöfe" gehört ebenso dazu wie die Pontifikalbände, die in seinem Arbeitszimmer stehen. "Ich hatte immer ein Faible für Liturgie", sagt er. Das helfe. Dennoch sei die bischöfliche Liturgie eine eigene Dimension. Vieles habe er sich neu erarbeiten müssen. Die Erfahrung aus der Pfarrei sei dabei genauso wichtig gewesen wie die Bereitschaft, sich auf Details einzulassen.

An Heiligabend hat er Nachtdienst

Die Christmette im Kölner Dom beginnt um Mitternacht. Für Stockem ist das mehr als ein Spättermin, er hat Spaß an der Liturgie, am Glauben. "Jesus ist mitten in der Nacht geboren, er ist das Licht, das in die Finsternis kommt", sagt er. Dazu kommt die besondere Feierlichkeit: der Dom, die Chöre, der Erzbischof als Zelebrant. Als Bischofskirche stehe der Dom für die ganze Ortskirche, erklärt Stockem. "Da wird Kirche in ihrer Fülle sichtbar." Und der gotische Raum tue sein Übriges.

 © Nicolas Ottersbach (DR)
© Nicolas Ottersbach ( DR )
Wenn in der Liturgie alles funktioniert, hat Stockem ganze Arbeit geleistet.

Dass bei einer so großen Feier alles glattläuft, ist keine Selbstverständlichkeit. Stockem hat vieles erlebt: Messdiener, die Einsätze verpassen. Einer, der wegen des dichten Weihrauchs umkippt. Menschen, die plötzlich nach vorne stürmen, um politische Botschaften zu rufen. Das ist nicht abwegig: Wenige Stunden vor der Christmette wurde ein Mann aus dem Dom geschmissen, der sich verkleidet hatte und störte. 

Stockem erinnert an spektakuläre Vorfälle früherer Jahre, etwa unter Kardinal Meisner, als eine Femen-Aktivistin nackt auf den Altar sprang. Dann geht es nicht nur um Liturgie, sondern auch um Sicherheit. "Da muss man mit den Domschweizern und der Security schauen, wie man reagiert", sagt er. Manchmal sei Ignorieren die beste Lösung, manchmal müsse man jedoch eingreifen.

Schönheit im Ablauf

Trotz der Anspannung gibt es für Stockem viele schöne Momente. "Liturgie hat eine eigene Dramaturgie, die einen mitreißt", sagt er. Wenn alles "wie ein Uhrwerk" laufe, sei das etwas sehr Erfüllendes. Er schätzt auch die Kollegialität. "Selbst wenn etwas nicht klappt, gibt es viele, die dafür sorgen, dass es trotzdem gut wird." Für ihn ist das so etwas wie das gelebte kölsche Grundgesetz: "Et hätt noch immer joot jejange."

Domvikar Stockem in der Christmette im Kölner Dom.

Der ideale Zeremoniar bleibt unauffällig, auch wenn ihn an Heiligabend rund 5000 Augen erspähen können. "Wenn ich hektisch werde, dann muss schon etwas richtig schieflaufen", sagt Stockem. Ziel ist es, dass die Gottesdienstbesucher davon nichts mitbekommen. Sein Platz während der Christmette ist das Chorgestühl. Von dort hat er alles im Blick. Zwischendurch ist er unterwegs, holt das Allerheiligste, macht Ansagen, kommentiert den Ablauf. "Ich wusel' da, wo es nötig ist", sagt er.

Nach der Messe ist vor dem Hochamt

Die Christmette entsteht nicht erst am Heiligabend. Die ersten Absprachen laufen schon im Herbst in der Domliturgiekommission. Ende November kommen die musikalischen Vorschläge der Dommusik, die mit dem Erzbischof abgestimmt werden. Dann folgen Liedhefte, Proben mit den Messdienern, organisatorische Fragen: Sonderzugänge, Sitzplätze für Familien, Übernachtungen für Messdiener, die von weiter her kommen. Selbst der kleine Empfang nach der Christmette gehört dazu.

Nach der Christmette geht es für Stockem noch weiter. Erst der Empfang mit den Messdienern im Priesterseminar, dann nach Hause. Dort wartet sein Hund. "Der hat mich schon ganz irritiert angeschaut, dass ich um diese Uhrzeit noch einmal rausgehe", sagt Stockem. Die Stunden davor hat er ein wenig Weihnachten mit seiner Haushälterin gefeiert. Um 9 Uhr steht er am nächsten Morgen wieder im Dom. Das Weihnachtshochamt muss vorbereitet werden. Vier Stunden Schlaf, wenn es gut läuft. Danach geht es zur Familie, Weihnachten ganz privat feiern. Ruhig, im Hintergrund. Wie ein Domzeremoniar eben.

Quelle:
DR

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