DOMRADIO.DE: Warum braucht es einen eigenen Gottesdienst für trauernde Menschen?
Anja Schmidt-Ott (Trauercoach): Weihnachten ist die Zeit der Familie. Wir werden überschwemmt mit Werbung oder Liedern, die das Zusammenkommen feiern. Das ist besonders unerträglich und sehr schwer, wenn Menschen nicht mehr zusammenkommen können, weil eben einer fehlt.
Gerade an solchen Feiertagen wird das besonders deutlich. Viele Menschen, die trauern, fühlen sich dann ganz besonders allein, als würden sie nicht dazugehören. Deshalb ist es wichtig, dass wir Gottesdienste veranstalten, in denen die Menschen sehen, dass sie mit ihrer Trauer an den Festtagen nicht alleine sind. Ihnen wird ein Raum gegeben, in dem sie traurig sein dürfen und dieses Gefühl zulassen können.
DOMRADIO.DE: In den Gottesdiensten werden Texte gelesen, es gibt musikalische Beiträge und im Anschluss auch Punsch und Plätzchen. Wenn man mag, kann man auch bleiben und miteinander sprechen. Inwiefern kann so eine Feierstunde Trost spenden und dabei helfen, besser durch die Weihnachtszeit zu kommen?
Schmidt-Ott: Wir geben dem Gefühl, das man eigentlich wegdrückt, weil man Weihnachten feiern möchte, einen Raum und lassen es zu. Gleichzeitig geben wir einen Ausblick auf Tröstliches. Das machen wir zum Beispiel, indem wir kleine Rituale einbauen und den Menschen, die zu uns kommen, Materialien mitgeben, mit denen sie sich in den Feiertagen eigene Rituale schaffen können.
Das kann eine Kerze sein, die man anzündet und mit der man sich frühmorgens, am Weihnachtsmorgen zum Beispiel, hinsetzt und einen Kaffee trinkt und so noch einmal einen stillen Moment der Verbundenheit genießt. Oder das Ritual der Familie Bonhoeffer, bei dem man einen geschmückten Zweig aus dem Tannenbaum schneidet und zum Friedhof oder an einen anderen besonderen Ort bringt. Diese Lücke wird im Baum dann bewusst stehen gelassen. Denn sie ist für alle da und spürbar.
Dieses Format, die Trauer in Gemeinschaft zu erleben, ist etwas ganz Besonderes: Menschen, die möglicherweise alleine feiern müssten und hier zusammenkommen, erleben, dass sie das möglicherweise stärkt und trägt.
Wir hatten beim letzten Mal eine Teilnehmerin dabei, die zum ersten Mal seit zehn Jahren "Oh du fröhliche“ singen konnte und Weihnachten wieder ertragen hat. Das hat uns natürlich sehr berührt und war der Anstoß, dieses Angebot nach Möglichkeit jedes Jahr am vierten Advent zu machen.
DOMRADIO.DE: Es wird Menschen geben, die Weihnachten dieses Jahr nicht feiern können und nicht in Ihren Gottesdienst kommen können, weil sie dafür zu sehr trauern und sich an die geliebte Person erinnern. Haben Sie einen Tipp für diese Menschen?
Schmidt-Ott: Ganz wichtig ist, dass man sich ein eigenes Ritual schafft. Das kann auch ein ganz neues Ritual sein. Das Wichtigste ist auch, sich bewusst zu machen, dass auch schöne Ereignisse immer wieder traurig sein werden. Diese Ambivalenz kommt mit der Trauer. Bei Feiern merken wir, dass da jemand fehlt. Vielleicht kann ich dieses Fehlen aus- und ansprechen oder mir einen Raum dafür suchen.
Wenn man sich bewusst macht, dass Trauer gar kein furchtbares Gefühl ist, sondern ein Zeichen meiner Liebe – Trauer ist Liebe –, kann das vielleicht auch schon tröstlich sein. Dann kann ich meiner Liebe Raum geben. Das ist etwas anderes, als das Gefühl zu haben, die Trauer wegdrücken zu müssen, um Weihnachten feiern zu können. Denn das geht meistens ein bisschen schief. Wir laden dazu ein, dieses Gefühl in einer guten und tröstlichen Weise zu integrieren.
Das Interview führte Elena Hong.