DOMRADIO.DE: Sie waren bei der Weltklimakonferenz in Belém. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?
Dom Vicente Ferreira (Bischof von Livramento de Nossa Senhora, Bahia/ Brasilien): Die Weltklimakonferenz – die COP 30 – ist vor allem ein großer Verhandlungstisch, an dem Staaten und Unternehmen sitzen. Natürlich gab es einige Fortschritte, aber wir haben mehr erwartet, zum Beispiel einen Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen oder das Ende der Erdölförderung im Amazonas. Daher fand ich die Abschlusserklärung schwach.
Was ich hervorheben möchte, ist die zivilgesellschaftliche Beteiligung, der "Gipfel der Völker", das alternative Treffen in Belém. Mehr als 3.000 Indigenen-Vertreter waren dabei, das war eine Rekord-Beteiligung. Auch viele Kirchen und Religionsgemeinschaften haben sich an dem Dialog beteiligt, inklusive der katholischen Kirche.
DOMRADIO.DE: Haben Sie von Deutschland als einer der führenden Industrienationen mehr erwartet?
Dom Vicente: Angesichts der Stärke und Größe haben wir von Deutschland mehr erwartet. Vor allem hatten wir auf mehr Unterstützung für die brasilianische Regierung bei der Roadmap gehofft, einem internationalen Fahrplan für den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle, wo eine Entscheidung dringend erforderlich ist.
DOMRADIO.DE: Sie haben für große Aufmerksamkeit gesorgt, als Sie sich 2019 nach dem verheerenden Bruch des Staudammes in Brumadinho für die Opfer und Überlebenden eingesetzt haben. Die ins Tal stürzende Schlammlawine begrub 272 Menschen unter sich und zerstörte Häuser, Felder und Flüsse. Sie waren damals Weihbischof dort. Warum ist es die Kirche, die sich um diese Menschen kümmert?
Dom Vicente: Ich habe damals bereits fünf Jahre mit den von der Tragödie betroffenen Gemeinden gearbeitet, mit den Opfern des Bergbauunglücks in Brumadinho. Ich fragte mich immer, wo Gott in diesen Tragödien, in diesen Momenten des Schmerzes, ist.
Und dort in Brumadinho bekam ich die Antwort darauf als Frage zurück: Wo bist du? Und auf welcher Seite stehst du? Und im Namen des Evangeliums sah ich nur die Möglichkeit, an der Seite dieser Gemeinden zu sein, an der Seite der Menschen, die Angehörige verloren haben, ihre Heimat und ihre Felder, deren Fluss praktisch tot war durch die Verschmutzung. Da hörte ich diese große Stimme, die mir sagte: Du musst das Leben schützen.
Und als Bischof, als Priester hast du – wie Jesus – immer auf der Seite derer zu sein, die am schwächsten und verletzlichsten sind. Deshalb denke ich, dass die Kirche auch da sein muss. Das ist das Zentrum der Botschaft unseres Evangeliums und unserer katholischen Kirche.
DOMRADIO.DE: Sie sind infolge Ihres Engagements damals bedroht worden und es gab Kritik, Kirche solle sich nicht in die Politik einmischen. Warum haben Sie trotzdem weitergemacht?
Dom Vicente: Weil es eine Erfahrung ist, die mich sehr bewegt und auch mein Leben verändert hat. Ich hatte die Kraft dazu und das war eine Gnade, die mir von Gott gegeben wurde. Denn in diesen Momenten wird klar, dass die heutige Gesellschaft viele positive Seiten hat, aber auch viele Ungerechtigkeiten. Und an der Seite der Benachteiligten zu sein, ist unsere Verpflichtung als Christen. Das spüre ich jeden Tag.
Wenn mich jemand fragt: "Warum hören Sie nicht auf?", dann antworte ich: "Weil Aufgeben keine Option ist!" Wem nutzt die Angst angesichts der sozialen und ökologischen Ungerechtigkeiten? Sie nützt allein den Mächtigen. Deshalb werde ich weitermachen. Natürlich bringt das Schwierigkeiten mit sich, aber ich sehe es als eine Gnade, dem Evangelium auf diese Weise folgen zu können.
DOMRADIO.DE: "Rettet unsere Welt – Zukunft Amazonas" ist das Motto der diesjährigen Weihnachtsaktion von Adveniat, zu der Sie als Gast eingeladen wurden. Wie blicken Sie auf die Zukunft des Amazonas?
Dom Vicente: Mit großer Sorge. Denn auch in Brasilien schreitet die Abholzung des Regenwaldes voran, weil immer mehr Bodenschätze abgebaut werden und das Agrobusiness ausgeweitet wird. Und das geschieht zum Nachteil der kleinen Gemeinden und indigenen Gemeinschaften. Aber wir brauchen den Amazonas als Lebensraum, für die Artenvielfalt.
Deshalb sehe ich das mit Sorge, aber auch mit Hoffnung, weil es großen gesellschaftlichen Widerstand gibt. Auch die indigenen Gruppen sind heute viel besser organisiert. Die Antwort sind wir, das ist unsere Kirche und wir unterstützen das.
DOMRADIO.DE: Sie sind als Gast der Adveniat-Weihnachtsaktion nach Deutschland gekommen, um hier von Ihrer Heimat und der aktuellen Situation im Amazonas zu erzählen: Was ist Ihre Botschaft an die Deutschen?
Dom Vicente: Wir wissen, dass auch die Deutschen und die Europäer gerade schwere Zeiten und Sorgen durchleben, wegen der Kriege. Aber ich würde gerne eine weihnachtliche Botschaft der Hoffnung hierlassen: Durch die Solidarität werden wir uns gegenseitig stärken, für den Schutz der Ärmsten, der Geflüchteten und für unseren Planeten, für die gesamte Schöpfung.
Derzeit liegt unser Fokus auf Waffen, Kriegen, Verteidigung und Nationalismus. Und wir sollten das durch ein neues Bewusstsein ersetzen, damit eine neue Kultur entsteht, in der wir alle für unser gemeinsames Haus Sorge tragen. Wir müssen nur unsere Haltung ändern, damit diese Zukunft tatsächlich Wirklichkeit wird. Das sind wir künftigen Generationen schuldig.
Also ein Aufruf, eine Botschaft der Hoffnung: Lasst uns eine Welt des Friedens aufbauen. Adveniat zum Beispiel hat viele Projekte, die dazu beitragen, diese Netzwerke zu stärken, Netzwerke des Guten, der Liebe, des Friedens. Nur so können wir die Mauern des Krieges einreißen, die unsere Menschheit und die Erde bedrohen.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.