In den Fürbitten der Gottesdienste verschiedener Konfessionen wird häufig um den Frieden in der Welt gebetet. Manchmal konkretisieren die Zelebrantinnen oder Zelebranten dies noch mit der Einladung, für eine bestimmte Krisenregion zu beten. Wenn man die dabei genannten Länder über die Jahre hinweg Revue passieren lässt, mögen einem Menschen Zweifel am Erfolg dieser Gebete kommen.
Immer wieder werden das Heilige Land, der Kongo, Eritrea und Äthiopien, der Sudan, der Nahe und Mittlere Osten und seit 2014 auch die Ukraine in den Fürbitten Gott anvertraut – und doch scheint sich nur wenig zu verbessern, scheinen Hass und Gewalt das letzte Wort zu haben.
Selbst in den Ländern der westlichen Welt nehmen die Spannungen zu; in den USA werden mittlerweile sogar Nationalgarde und Armee in die eigenen Städte entsandt, um die Ziele des Präsidenten zu verwirklichen. Hat unser Gebet also schlicht keine Wirkung, sondern gibt uns nur für einen kurzen Moment das wohlige Gefühl, etwas gegen den Unfrieden in der Welt gesagt zu haben?
Auf den ersten Blick geht auch das Gebetsanliegen für den Dezember - das letzte, das noch vom verstorbenen Papst Franziskus formuliert worden ist - in diese Richtung. Auch hier wird unter den "Kriegs- oder Konfliktgebieten" eine Region hervorgehoben, nämlich der Mittlere Osten.
Hilft nur noch beten?
Meist versteht man unter diesem geografisch nicht ganz genau definierten Begriff die Länder des indischen Subkontinents, Afghanistan und den Iran. Dort haben die Spannungen auch innerhalb der jeweiligen Bevölkerungsgruppen in den vergangenen Jahren ebenfalls zugenommen. Etwa zwei Milliarden Menschen haben in Indien und Pakistan mit den Gefahren atomarer Aufrüstung zu kämpfen; vor allem im Iran und in Afghanistan leiden Menschen unter religiös verbrämter Herrschaft und verbreiteter Armut. Beten wir also einfach, weil uns nichts Wirksames einfällt?
Die Hoffnung auf Frieden prägt den Dezember, den Geburtsmonat des Friedenskönigs in der Krippe, in besonderer Weise. Die Pfadfinder Europas bringen wieder das Friedenslicht von Bethlehem in viele Kirchengemeinden, aber auch zu mächtigen Institutionen, Personen und Einrichtungen. So nimmt es beispielsweise die EU-Kommissionspräsidentin fast jedes Jahr im Namen des ganzen Staatenbundes in Empfang. Auch viele Staatsoberhäupter sind bereit, es anzunehmen - darunter waren in der Vergangenheit sogar der jordanische König Hussein I. und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow.
Ein König mit hoffnungsvoller Botschaft
Das Friedenslicht ist möglicherweise ein Zugang zum Gebetsanliegen des Monats Dezember. Die Kinder und Jugendlichen, die es überbringen, haben nicht die Möglichkeit, Mächtige zum Frieden zu zwingen. Ihr Beispiel kann aber dennoch von einer Hoffnung künden, die diese Welt und ihre Spaltungen überwindet: Denn sie stellt uns einen König vor Augen, der nicht mit Gewalt, ja nicht einmal mit politischen Winkelzügen, sondern allein mit der Botschaft der Hoffnung herannaht.
Christinnen und Christen sind im Mittleren Osten überall eine Minderheit, meist ohne großen politischen Einfluss. Dennoch glaubte Papst Franziskus offenbar, dass sie "Saat des Friedens, der Versöhnung und der Hoffnung zu sein vermögen" und dass sie durch ihr Gebet und ihr Vorbild eine heilsame Wirkung in ihrem Umfeld entfalten können. Er formulierte das nicht etwa aus dem Grund, weil Christenmenschen friedlicher wären als andere, sondern weil wir Hoffnung geschenkt bekamen und bekommen, die wir auf unsere eigene, oftmals gebrochene Weise in diese Welt hineintragen dürfen.
So gesehen ist das Gebet um Frieden kein Eskapismus und kein Versuch, die Schwierigkeiten und Gefahren dieser Welt zu verdrängen. Es ist vielmehr ein erster Schritt auf dem Weg zur Versöhnung und zur Wandlung des Herzens.
Alle Macht ist nur geliehen
Das Gebet bewahrt uns davor, angesichts der Krisen den Mut zu verlieren, und erinnert uns daran, dass alle Macht dieser Welt nur geliehen ist. Selbst der gewalttätigste und selbstsicherste Potentat wird seine Herrschaft irgendwann aus der Hand geben müssen, und sei es zusammen mit dem eigenen Leben. Die Botschaft des Kindes aus der Krippe, in dem uns Gott selbst begegnet, überdauert dagegen die finsterste Nacht und den dunkelsten Tag.
Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb dazu im Kriegsjahr 1940: "Ein Christenleben besteht nicht in Worten, sondern in Erfahrung. Niemand ist Christ ohne Erfahrung. Nicht von Lebenserfahrung ist hier die Rede, sondern von der Erfahrung Gottes. Aber auch nicht von allerlei Gotteserlebnissen wird hier gesprochen, sondern von der Erfahrung, die in der Bewährung des Glaubens und des Friedens Gottes liegt."
Gestärkt für Herausforderungen
Bonhoeffer war sicher niemand, der die Gewalt seiner Zeit in stillem Rückzug ins Gebet duldete. Vielmehr gab ihm die Erfahrung der Gegenwart Gottes die Kraft, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Vielleicht können auch die Menschen im Mittleren Osten und in anderer Weise wir selbst in dieser Advents- und Weihnachtszeit jene Kraft, Weisheit und Zuversicht finden, um für den Frieden einzutreten. Es ist den Einsatz wert - und auch das Gebet.