Der frühere Richter Michael Steindorfner fordert als Mitglied des Betroffenenbeirats des Bistums Passau klare gesetzliche Grundlagen für die Aufarbeitung von Missbrauch. Er sieht in erster Linie den Staat in der Pflicht. Dieser müsse Standards setzen, Kontrollen einführen und die Rechte der Betroffenen sichern, sagte Steindorfner dem "Passauer Bistumsblatt".
Kirchliche Aufarbeitung dürfe nicht länger als freiwillige Selbstverpflichtung organisiert werden. Sie sei eine öffentliche Aufgabe, vergleichbar mit Wahrheitskommissionen nach gesellschaftlichen Verwerfungen. Kirche und Staat müssten laut Steindorfner lernen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, statt sich gegenseitig höflich die Zuständigkeit zuzuschieben.
Der 76-jährige gebürtige Simbacher wurde als Schüler des ehemaligen Passauer Knabenseminars Sankt Maximilian über Jahre von einem Priester sexuell missbraucht. Neben dem Betroffenenbeirat gehört er der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen an.
Systemische Ursachen
Mit Blick auf die in Kürze erwartete Missbrauchsstudie für das Bistum Passau sagte Steindorfner, diese dürfe kein Schlusspunkt sein. Sie müsse öffentlich diskutiert, kritisch überprüft und praktisch umgesetzt werden - "mit konkreten Reformschritten, Anhörungen und Beteiligung der Betroffenen".
Die Kirche dürfe danach nicht wieder in den Selbstschutz-Modus verfallen. "Nicht das Image steht auf dem Spiel, sondern ihre Glaubwürdigkeit. Das Beben ist nötig. Es ist heilsam. Denn nur wer die Erschütterung aushält, kann neu bauen."
Befreiend werde die Studie nur sein, wenn sie dazu beitrage, dass sich die Kirche auch von den systemischen Ursachen des Missbrauchs befreie, betonte Steindorfner. Dazu gehörten Klerikalismus, Machtmissbrauch und geistliche Überhöhung.
Bischof: "Depressionen und Schlimmeres"
Der Passauer Bischof Stefan Oster sagte, er habe in Begegnungen mit Betroffenen viel lernen müssen: "Wie tief sich das Missbrauchsgeschehen in eine Menschenseele eingräbt, und wie sehr es das ganze Leben dramatisch beeinträchtigen, ja sogar vernichten kann."
Missbrauch betreffe alle Dimensionen, das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu anderen, zu Gott. Missbrauch könne Beziehungsfähigkeit massiv beeinträchtigen, arbeitsunfähig machen, Depressionen und Schlimmeres auslösen.
"Als Kirche haben wir hier eine große Verantwortung für Prävention, Intervention und Begleitung von Betroffenen. Und wir haben gelernt: Der Schutz des 'Systems Kirche' darf nicht zu Lasten von Betroffenen gehen", erklärte Oster. Deren Leid verpflichte vielmehr immer neu zu einem Umdenken, damit Kirche glaubwürdiger dem Heil und dem Heilerwerden der Menschen dienen könne.