Betroffener sieht Missbrauchsaufarbeitung als öffentliche Aufgabe

Passauer Missbrauchsstudie dürfe "kein Schlusspunkt sein"

Die Passauer Missbrauchsstudie wird in Kürze erwartet. Anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung kommen in einer Sonderausgabe des Bistumsblatts auch ein Betroffener und der Bischof zu Wort. Welche Erwartungen haben sie?

Passauer Dom / © Sina Ettmer Photography (shutterstock)
Passauer Dom / © Sina Ettmer Photography ( shutterstock )

Der frühere Richter Michael Steindorfner fordert als Mitglied des Betroffenenbeirats des Bistums Passau klare gesetzliche Grundlagen für die Aufarbeitung von Missbrauch. Er sieht in erster Linie den Staat in der Pflicht. Dieser müsse Standards setzen, Kontrollen einführen und die Rechte der Betroffenen sichern, sagte Steindorfner dem "Passauer Bistumsblatt"

Kirchliche Aufarbeitung dürfe nicht länger als freiwillige Selbstverpflichtung organisiert werden. Sie sei eine öffentliche Aufgabe, vergleichbar mit Wahrheitskommissionen nach gesellschaftlichen Verwerfungen. Kirche und Staat müssten laut Steindorfner lernen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, statt sich gegenseitig höflich die Zuständigkeit zuzuschieben. 

Stadtansicht von Passau mit dem Dom Sankt Stephan (m.) am 14. März 2021 in Passau. / © Maria Irl (KNA)
Stadtansicht von Passau mit dem Dom Sankt Stephan (m.) am 14. März 2021 in Passau. / © Maria Irl ( KNA )

Der 76-jährige gebürtige Simbacher wurde als Schüler des ehemaligen Passauer Knabenseminars Sankt Maximilian über Jahre von einem Priester sexuell missbraucht. Neben dem Betroffenenbeirat gehört er der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs an Kindern und Jugendlichen an.

Systemische Ursachen

Mit Blick auf die in Kürze erwartete Missbrauchsstudie für das Bistum Passau sagte Steindorfner, diese dürfe kein Schlusspunkt sein. Sie müsse öffentlich diskutiert, kritisch überprüft und praktisch umgesetzt werden - "mit konkreten Reformschritten, Anhörungen und Beteiligung der Betroffenen". 

Michael Steindorfner

"Das Beben ist nötig. Es ist heilsam. Denn nur wer die Erschütterung aushält, kann neu bauen."

Die Kirche dürfe danach nicht wieder in den Selbstschutz-Modus verfallen. "Nicht das Image steht auf dem Spiel, sondern ihre Glaubwürdigkeit. Das Beben ist nötig. Es ist heilsam. Denn nur wer die Erschütterung aushält, kann neu bauen."

Befreiend werde die Studie nur sein, wenn sie dazu beitrage, dass sich die Kirche auch von den systemischen Ursachen des Missbrauchs befreie, betonte Steindorfner. Dazu gehörten Klerikalismus, Machtmissbrauch und geistliche Überhöhung.

Bischof: "Depressionen und Schlimmeres"

Der Passauer Bischof Stefan Oster sagte, er habe in Begegnungen mit Betroffenen viel lernen müssen: "Wie tief sich das Missbrauchsgeschehen in eine Menschenseele eingräbt, und wie sehr es das ganze Leben dramatisch beeinträchtigen, ja sogar vernichten kann." 

Bischof Stefan Oster / © Armin Weigel (dpa)
Bischof Stefan Oster / © Armin Weigel ( dpa )

Missbrauch betreffe alle Dimensionen, das Verhältnis des Menschen zu sich selbst, zu anderen, zu Gott. Missbrauch könne Beziehungsfähigkeit massiv beeinträchtigen, arbeitsunfähig machen, Depressionen und Schlimmeres auslösen.

"Als Kirche haben wir hier eine große Verantwortung für Prävention, Intervention und Begleitung von Betroffenen. Und wir haben gelernt: Der Schutz des 'Systems Kirche' darf nicht zu Lasten von Betroffenen gehen", erklärte Oster. Deren Leid verpflichte vielmehr immer neu zu einem Umdenken, damit Kirche glaubwürdiger dem Heil und dem Heilerwerden der Menschen dienen könne.

Bistum Passau

Die Diözese Passau wurde 739 von Bonifatius gegründet und war einst mit mehr als 42.000 Quadratkilometern das größte Bistum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Es erstreckte sich donauabwärts bis Wien. Im Lauf der Geschichte verlor die Diözese sechs Siebtel ihres Gebiets an neu gegründete Bistümer wie Linz, Sankt Pölten und Wien. Mit der Säkularisation 1803 endete die weltliche Herrschaft der Passauer Bischöfe.

Passauer Dom / © Maria Irl (KNA)
Passauer Dom / © Maria Irl ( KNA )
Quelle:
KNA