Gemächlich tuckert das Motorboot über den Rio Tapajós, den mächtigen Amazonaszufluss, der so breit ist, dass man das andere Ufer nicht sieht. Nach fast zwei Stunden hat Padre Edilberto Sena sein Ziel erreicht: eine menschenleere Bucht mit endlosem Sandstrand. Als er sich dem Ufer nähert, kommen Männer angelaufen und begrüßen den Padre freudig, der mit seinen 83 Jahren leichtfüßig aus dem schaukelnden Boot klettert.
Padre Edilberto ist zu Besuch bei den Tupinambá, einem indigenen Volk im brasilianischen Bundesstaat Pará. Das macht er regelmäßig, nicht nur, um mit ihnen gemeinsam zu beten, sondern auch, um sie in ihrem politischen Kampf zu unterstützen. "Amazônia livre de petróleo" steht auf seinem blauen T-Shirt: "Keine Erdölförderung im Amazonas". Er bezeichnet sich selbst als Priester und Aktivist – und findet, dass das kein Widerspruch ist: "Es macht doch keinen Sinn, über das Reich Gottes zu sprechen, wenn es nicht um den Schutz des menschlichen Lebens und der Natur geht!"
Vorbereitungen für die Klimakonferenz
Es ist Mitte Oktober, und die Dorfgemeinschaft trifft sich, um Aktionen zu planen: Denn die Amazonasregion steht ab Montag (10. November) im Fokus der Weltöffentlichkeit, wenn im brasilianischen Belém Regierungsvertreter aus mehr als 190 Ländern zur 30. UN-Klimakonferenz zusammenkommen. In der Millionenstadt am Amazonasdelta, mehrere hundert Kilometer von der Siedlung der Tupinambá entfernt, will die internationale Gemeinschaft beraten, wie die Erderwärmung noch beherrscht werden kann. Unter einem Strohdach sitzen Padre Edilberto und die Gemeindemitglieder auf Schulstühlen mit Klapptisch und diskutieren. Aktuell besorgen sie vor allem die Pläne der Regierung für den Rio Tapajós: Neben dem Bau von mehreren großen Staudämmen für die Energiegewinnung soll der Fluss ausgehoben und besser schiffbar für den Sojatransport gemacht werden.
Die Tupinambá befürchten, dass dadurch das jahrhundertealte Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur gestört wird. Schon jetzt merke man die Folgen von Abholzung und Erderwärmung deutlich, sagt ihr spiritueller Anführer Nato Tupinambá: "Krankheiten und Dürren, Brände, die aus dem Nichts entstehen: So wird man uns still und leise töten."
Soja für die Industrienationen
Staudämme sind nicht das einzige Problem, gegen das die indigenen Völker am Tapajós kämpfen: Der illegale Goldabbau ist in der Region in den letzten zehn Jahren um mehr als 500 Prozent angestiegen. Dabei wird Quecksilber verwendet, das die Flüsse und ihre Lebewesen vergiftet.
Wenn es um diese Themen geht, kann sich Padre Edilberto in Rage reden: Der Anbau von Soja, das für den europäischen und chinesischen Markt; eine fast 1000 Kilometer lange, geplante Eisenbahnstrecke – "Ferrogrão" genannt –, die Transportkosten für landwirtschaftliche Produkte senken soll, aber mitten durch den Regenwald verlaufen würde: Hier würden wirtschaftliche Interessen vorangetrieben und die Indigenen, die die Gebiete schon seit Jahrhunderten bewohnen, würden nicht gefragt: "Wissenschaftler bestätigen, dass es produktiver ist, den Wald stehenzulassen, als ihn zu zerstören", sagt er. "Sojabohnen und Fleisch für das Ausland zu produzieren, schafft Profit für einige Wenige, aber es schadet dem Gemeinwohl!"
Padre Edilberto Sena war Franziskaner, bevor er 1970 zum Priester geweiht wurde. Damals schaute er hoffnungsvoll auf das Zweite Vatikanische Konzil, das in Rom gerade seine Beschlüsse zur Erneuerung der katholischen Kirche hervorgebracht hatte. Und 1968 hatten Lateinamerikas Bischöfe im kolumbianischen Medellín die "Option für die Armen" als Leitlinie für kirchliches Handeln formuliert, die Befreiungstheologie entstand. "Mir wurde klar, dass ich mich nicht nur mit Taufen, Hochzeiten, Katechismus, Himmel und Hölle beschäftigen konnte", erinnert sich der Padre. "Ich wollte die Gesellschaft verändern, damit arme Menschen ein Leben in Fülle führen können."
Von der Befreiungstheologie inspiriert
Das macht er seit Jahrzehnten: Er gründete mehrere Widerstandsbewegungen, darunter das "Movimento Tapajós Vivo", mit dem er sich gegen die zunehmende Bewirtschaftung des Amazonas einsetzt: gegen Sojabarone und -konzerne, gegen Staudammprojekte und Bergbaukonzessionen. 2008 rief er das "Rede de Notícias da Amazônia" ins Leben, ein christlicher Radiosender für Amazonien mit Sitz in Santarém, der seit Jahren vom katholischen Lateinamerikahilfswerk Adveniat unterstützt wird.
Der Sender versteht sich als bürgernah und sendet Themen, die in den großen Medien unsichtbar bleiben: über Quecksilberfunde in den Flüssen und die Folgen für die Fischer; über indigene Gemeinschaften, die sich gegen illegale Abholzung, Wilderei und Raubfischerei in ihren Territorien wehren, oder wie Kleinbauern Zugang zu öffentlichen Förderprogrammen erhalten.
Auf dem Weg nach Belém
Eine Delegation der Tupinambá ist mittlerweile auf dem Weg nach Belém, um sich dort mit anderen Gemeinden an den zivilgesellschaftlichen Aktionen während der Klimakonferenz zu beteiligen. Mit einem Schiff waren sie mehrere Tage unterwegs auf dem weit verzweigten Flussnetz des Amazonas. Es geht ihnen nicht nur um wirtschaftliche Rechte: "Der Fluss ist uns heilig", sagt Nato, der spirituelle Führer, "und der Wald ein Ort, an dem unsere Ahnen weiterleben, ein Ort der Einheit mit der Schöpfung."
Wenn die Industrienationen verstehen würden, dass der Wald keine Ressource, sondern ein Lebensraum ist, wäre schon viel gewonnen, sagt er. "Wir sind es, die den Amazonas erhalten. Ihn gibt es noch, weil die Indigenen bis heute diesen Kampf führen." Darum wollen sie sich in Belém Gehör verschaffen.
Wenn man Padre Edilberto fragt, was er von der Klimakonferenz erwartet, winkt er ab: "Es gab bereits 29 solcher Konferenzen und die Klimakrise hat sich trotzdem verschärft." Auch die eigene Regierung sieht er kritisch: Denn während Brasiliens Präsident Lula da Silva sich n Belém als Schützer des Amazonas gibt, vergibt er gleichzeitig Lizenzen für die Ölförderung nahe des Amazonasbeckens.
Entmutigen lässt sich der Padre dadurch aber nicht. Entschlossenheit blitzt in den wachen Augen des 83-Jährigen auf: "Ich habe schon mit Jesus verhandelt", sagt er augenzwinkernd. "Wenn du mich hier unten noch brauchst, dann gib mir noch fünf oder zehn Jahre!" Da soll Jesus ihm geantwortet haben: "Keine Sorge!" "So lebe ich mein Leben", sagt Padre Edilberto, "man muss immer mit Jesus verhandeln!"