Betroffene und Fachleute kämpfen gegen das Schweigen

Suizid im engsten Umfeld

Aus dem schlimmsten Moment ihres Lebens ist inzwischen ein gesellschaftliches Ziel geworden. Susanne Barth möchte, dass Trauernde nach einem Suizid über ihre Gefühle sprechen und Hilfe finden. Laut Fachleuten ist das oft schwierig.

Autor/in:
Paula Konersmann
Seelsorge / © shisu_ka (shutterstock)

Es sei "der absolute Nullpunkt" ihres Lebens gewesen, sagt Susanne Barth, eine Erfahrung, "die sich wie der freie Fall in einen Abgrund angefühlt hat". 2009 hat sich ihr Sohn das Leben genommen. "Irgendwie ging das Leben weiter, mit Kindern, mit Arbeit", sagt sie heute. Doch ihre Gedanken seien gekreist, um den Tod ihres Sohnes, um Depression, um Fragen, die niemand mehr beantworten konnte.

Von vornherein habe sie das Gefühl gehabt: "Ich muss darüber sprechen", sagt die Biberacherin, die dort bei AGUS aktiv ist, einem Selbsthilfeverein für Suizid-Hinterbliebene, und bei U25, der Online-Beratung der Caritas für suizidgefährdete junge Menschen. Vertrauten habe sie "immer wieder dasselbe" erzählt, "immer wieder von vorn". Und nicht selten sei das Gegenüber erleichtert gewesen, wenn sie den ersten Schritt gemacht habe, sagt Barth: "In einer Kleinstadt sprach sich das herum - dann wussten sie, okay, wir können darüber sprechen."

Wenn das Umfeld sprachlos bleibt

Im Job allerdings stieß die trauernde Mutter auf "die sprichwörtliche Mauer des Schweigens", wie sie sagt - und so geht es vielen. Das zeigt die DE-LOSS-Studie der Universität Ulm, die den Umgang mit Suiziden untersucht und die am Freitag bei einer Online-Veranstaltung vorgestellt wurde.

Den Angaben zufolge wurden in zwei Teilprojekten einerseits qualitative Interviews mit Suizid-Hinterbliebenen geführt; andererseits fand eine Online-Befragung unter über 500 Betroffenen statt. Darin gaben 47 Prozent an, dass sie sich öfter so gefühlt hätten, als würde ihnen niemand zuhören; ein Viertel (25 Prozent) fühlte sich häufig so. Öfter schuldig fühlten sich demnach 40 Prozent, 39 Prozent sehr häufig. 69 Prozent stimmten der Aussage zu: "Nach einem Verlust durch Suizid ist es das Beste, seine Gedanken für sich zu behalten."

Zudem zeigte die Befragung, dass die Unterstützung mit der Zeit nachlasse: In der ersten Woche nach einem solchen Verlust fühlte sich noch über die Hälfte der Befragten unterstützt, nach einem Jahr war es nur noch etwa ein Drittel.

Zehntausende sind betroffen

Wie viele Menschen von der Trauer nach einem Suizid betroffen sind, hat Sozialpsychiaterin Nathalie Oexle nach eigenen Worten selbst überrascht. "Aufgrund der Tabuisierung würde man die Zahlen genau andersherum erwarten", sagt die Leiterin der DE-LOSS-Studie: Durch Suizid sterben mehr Menschen als durch Unfälle, Aids, illegale Drogen und Gewalttaten zusammen; im vergangenen Jahr waren es 10.372. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind von jedem dieser Fälle mindestens fünf bis sieben Angehörige betroffen - das wären also allein 2024 hierzulande etwa 50.000 bis 75.000 Menschen.

Eine einfache Lösung für sie alle gebe es nicht, sagt Oexle. Um so wichtiger sei es, wiederholt möglichst konkrete Hilfe anzubieten. Jeder Fall ist unterschiedlich: Manche fühlen sich im Familienkreis gut aufgehoben, andere belastet dort emotionale Kälte. Vor allem jüngere Betroffene berichten in der Studie davon, sich nicht ernstgenommen zu fühlen: eine 23 Jahre alte Frau, deren Bruder durch Suizid starb, etwa "wie ein Kind, das nichts versteht".

"Ist das normal?"

Für junge Menschen brauche es daher gezielte Unterstützung, sagt Oexle, ebenso für Eltern. "Die Kinder sprechen kaum darüber", sagt etwa eine 45-Jährige nach der Selbsttötung ihres Mannes. "Manchmal macht mir das Sorgen und ich habe niemanden, den ich fragen kann, ob das normal ist." Wenn Erwachsene eine Fassade von Normalität aufrecht erhalten, könne dies wiederum dazu führen, dass Raum für Emotionen fehlt: "Das ist der Grund, warum ich mich damals nicht wohlgefühlt habe damit, zu weinen", sagt ein 39-Jähriger über den Suizid seines Bruders.

Neben professionellen Angeboten fordern Fachleute eine weitere Entstigmatisierung des Themas. So stellten sich Hinterbliebene nach einem Suizid häufig die Frage, ob man die Todesursache etwa auf einer Trauerfeier nennen solle, könne, dürfe, sagt die Forscherin. Wichtig seien vor allem aufrichtige Anteilnahme und Hilfe etwa bei der Organisation des Alltags: Diese "soziale Unterstützung" reduziere die Belastung in einer Trauersituation - auch nach einem Suizid.

[U25] Suizidpräventionsberatung

[U25] bietet eine Online-Mailberatung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren in akuten Krisen an. [U25] hat sich auf suizidale Krisen spezialisiert. Unterstützt werden aber junge Menschen, denen es schlecht geht, aber keine Suizidgedanken haben. 

Online-Beratung / © Daniel Naupold (dpa)
Online-Beratung / © Daniel Naupold ( dpa )
Quelle:
KNA