"Meuchelmord bei Gevelsberg" oder "Kölner Erzbischof hinterrücks ermordet". So würde heutzutage wohl die reißerische Schlagzeile in der Tageszeitung zu den Geschehnissen von damals lauten, vermutet Kardinal Woelki, als er die Pilgergruppe aus Wuppertal-Beyenburg vor der Achskapelle des Doms zu einer Andacht herzlich willkommen heißt. Er freut sich sichtlich, dass Bruder Dirk Wasserfuhr, der letzte Kreuzherren-Mönch von Beyenburg, die Initiative zu einer Wallfahrt nach Köln ergriffen und die dortige Gemeinde St. Maria Magdalena den 800. Todestag des einstigen Kölner Erzbischofs zum Anlass genommen hat, sich zum Gedenken an ihn im gemeinsamen Gebet zu versammeln. Hinter Woelki steht, mit Kerzen und Blumen geschmückt, der filigran gearbeitete Barockschrein des Heiligen Engelbert, der in der Kirche als Märtyrer verehrt wird, aber als Heiliger nie wirklich kanonisiert wurde, wie der Kardinal erklärt. Das wäre nach heutigen Maßstäben auch nicht zu rechtfertigen, fügt er noch hinzu.
Und dennoch versucht er, mit seinen Erläuterungen seinem historischen Vorgänger aus dem 13. Jahrhundert, der aus heimtückischen Motiven im Alter von 40 Jahren sein Leben verlor, weil er von seinem eigenen Neffen in einen Hinterhalt gelockt und grausam ermordet wurde, gerecht zu werden. So benennt Woelki zwar, dass Erzbischof Engelbert damals durch und durch Machtpolitiker und in die hohe Politik verstrickt gewesen sei, sein Einfluss als Reichskanzler das gesamte Römische Reich nördlich der Alpen umfasste und er damit im Hochmittelalter als einer der mächtigsten Männer seiner Zeit galt – was dazu führte, dass er nicht zimperlich agierte und gut auszuteilen wusste. Er berichtet aber auch, dass Engelbert viel Gutes getan, zum Beispiel elf Siedlungen die Stadtrechte verliehen und in den ihm unterstellten Gebieten für Wohlstand, Sicherheit und soziale Absicherung gesorgt hatte. "Er scheint in seinem Wesen etwas gehabt zu haben, was die Menschen als Zugewandtheit erlebten. Und er hatte ein Herz für die Armen gehabt, was letztlich zu seiner Verehrung führte", so Woelki.
Mehr als dem geistlichen Amt der praktischen Politik zugetan
Zu Engelberts Verdiensten gehört zudem, dass er besonders um die Einführung der neuen Bettelorden in seiner Diözese bemüht war. Er rief Dominikaner und Franziskaner nach Köln, begünstigte die Zisterzienserorden und trat gegen jede Bedrückung durch die Klostervögte auf. Durch Gesetzgebung, Rechtsprechungs- und Verwaltungsreformen sowie Provinzialsynoden festigte er die innere Verfassung seines Bistums, er förderte den Einfluss des Domkapitels und regte den Neubau des Kölner Domes an. Trotzdem wird ihm nachgesagt, dass er weniger dem geistlichen Amt als der praktischen Politik zugetan gewesen sein soll.
Doch sein mitunter recht energisches Auftreten brachte ihm, so belegen es historische Quellen, auch den Hass vieler adeliger Standesgenossen ein, was letztlich zu seinem Tod führte. Denn Erzbischof Engelbert, der zudem noch Herzog von Westfalen war, die Grafschaft Berg verwaltete und Stellvertreter des Kaisers war, hatte auch viele Feinde, wie es der Mönch Caesarius von Heisterbach überliefert. So war einer seiner politischen Gegenspieler sein Neffe Friedrich von Isenberg. Auf der Rückkehr von einem Treffen mit Friedrich und anderen Adeligen in Soest lauerten Erzbischof Engelbert die Truppen von Isenberg in einem Hohlweg nahe Gevelsberg auf. Friedrich hatte den Plan, seinen Widersacher zu entführen und gefangen zu setzen. Doch das Vorhaben misslingt. Stattdessen wird Engelbert mit 50 Messerstichen getötet, was eine Untersuchung 750 Jahre später bestätigt. Caesarius zufolge, der den Tathergang rekonstruiert, bleibt "vom Scheitel bis zur Sohle kein Teil des Körpers von Wunden frei". An Engelberts Todesort wird wenige Jahre später – um 1233 – das Kloster Gevelsberg der Zisterzienser gegründet, das sich zu einem Zentrum der Verehrung Engelberts entwickelt, während seine Verehrung in Köln erstmals 1618 nachgewiesen ist.
Auslöser für diese Wallfahrt nach Köln und weiter zum Altenberger Dom, wo an diesem Tag eine weitere Statio geplant ist, da dort das Herz von Erzbischof Engelbert aufbewahrt wird, sei die Tatsache gewesen, so berichtet Bruder Dirk, dass die sterblichen Überreste Engelberts damals nach seiner Ermordung auch für eine Nacht Station in Beyenburg gemacht hätten, bevor sie nach Köln überführt worden seien. Und nun wolle er mit seiner Gemeinde diese Spur bis nach Schloss Burg, wo sich Engelberts alte Residenz befunden habe, nochmals als Pilgerroute nachverfolgen, zumal die dramatischen Ereignisse von damals und die später einsetzende Verehrung fest im geschichtlichen Ortsbewusstsein der Beyenburger verankert seien. "Mit unserer Wallfahrt wollen wir die Geschichte beleben", unterstreicht der Ordensmann, der sich intensiv mit dem Leben und Sterben Engelberts befasst hat.
Reliquienschrein ausnahmsweise im Dom ausgestellt
Und bei der Annäherung an diesen nicht ganz unumstrittenen Heiligen hilft zweifelsohne auch, dass der Reliquienschrein – das Goldschmiedeprachtstück aus dem 17. Jahrhundert, verziert mit einer Liegefigur Engelberts – ausnahmsweise für dieses besondere Jubiläum aus der Domschatzkammer geholt wurde und damit jede abstrakte Erzählung im wahrsten Sinne des Wortes ein Stück begreifbarer macht.
So ist wesentliches Element dieses Gottesdienstes auch zunächst die Anrufung der Heiligen, deren Patronatskirchen sich auf dem Gebiet des Erzbistums befinden, wie zum Beispiel die der Heiligen Maternus, Severin, Heribert, Kunibert, Bruno, Anno, oder Quirinus, Albertus Magnus und Teresia Benedicta a cruce/ Edith Stein, die wie einst Bischof Engelbert durch die Jahrhunderte ihren Glauben bezeugt haben und für ihn gestorben sind.
Ob ein Mensch heilig gelebt habe, sei letztlich dem Urteil Gottes überlassen, erklärt indes Erzbischof Woelki. Das gelte auch für den Heiligen Engelbert, der – wie jeder Heilige – in seinem jeweiligen Zeitkontext zu sehen sei. Immer sei einem Christen aufgetragen, sich danach auszustrecken, "dass unsere Berufung Wirklichkeit wird". Wörtlich betont der Kardinal: "Als Christen sind wir immer zur Heiligkeit berufen; dazu, Gott und die Menschen zu lieben. So dürfen wir auch den Heiligen Engelbert mit all dem Schwierigen und Undurchsichtigen in seinem Leben der Barmherzigkeit Gottes anvertrauen – in der Hoffnung, dass Gott alle Wunden heilt und wir einst alle das große Ziel unseres Lebens, bei ihm zu sein, erreichen."